Fachliche Analyse
Das digitale Spiel 1979 Revolution: Black Friday von iNK Stories eröffnet eine besondere Form der Geschichtsvermittlung und -inszenierung. In seiner Funktion als geschichtskulturelles Medium macht es Vergangenheit in Form von narrativen Spielmechaniken und ästhetischen Entscheidungen erfahrbar, ohne dabei den Anspruch zu erheben, Geschichte im Sinne klassischer Historiografie abzubilden (Elliott/Kapell 2013, 155). Vielmehr handelt es sich um interaktive Repräsentationen historischer Ereignisse, die in populären Medienformaten eingebettet und durch spezifische Authentizitätsstrategien vermittelt werden (Chapman 2016, 11-13). Dabei verweisen die Macher auf die „wahren Ereignisse“, die dem Spiel zugrunde liegen (American Iranian Council 2016). Das Spiel beansprucht damit eine Form von dokumentarischem Realismus, wie ihn Adam Chapman in seiner Theorie zu digitalen Spielen als Geschichtsmedien beschreibt (Chapman 2016, 124).
Das Spiel thematisiert die Ereignisse der iranischen Revolution und lässt die Spieler:innen in die Rolle eines jungen Fotojournalisten schlüpfen, der sich inmitten politischer Umbrüche wiederfindet. Diese narrative Struktur des Spiels orientiert sich an personalisierten Erzählweisen, die Geschichte durch emotionale Identifikation erlebbar machen. Dabei steht weniger die kausale Erklärung historischer Entwicklungen im Vordergrund als vielmehr deren subjektive Erfahrung (Jenkins 2012, 2). Die Spieler:innen treffen Entscheidungen, die Auswirkungen auf den weiteren Spielverlauf haben und erleben so Geschichte als konflikthafte, kontingente Konstruktion. Im Sinne der „narrative architecture“ nach Jenkins (2012, 4) wird die Spielwelt als erzählerischer Raum verstanden, der historischen Inhalten eine spielerisch begehbare Struktur verleiht. Bei 1979 Revolution: Black Friday entsteht die 'Vergangenheitsatmosphäre' nicht durch faktentreue Repräsentation, sondern durch die immersive Gestaltung, die durch den Einsatz von historischen Fotografien, Digitalisaten, dokumentarischen Tonaufnahmen und persischen Sprachfragmenten gestützt wird. 'Authentizität' wird im Spiel nicht als wissenschaftliche Wahrheit verkauft, sondern als atmosphärische und moralische Nähe zur Geschichte. Wie Uricchio (2005, 328-333) betont, sind digitale Spiele keine statischen Abbilder historischer Realität, sondern dynamische Simulationen, die bestimmte Perspektiven und Interpretationen privilegieren. Im Fall von 1979 Revolution ist dies die Sicht einer gebildeten, urbanen Jugend, die sich gegen ein repressives Regime stellt. Diese Sichtweise blendet andere Narrative, wie etwa die der konservativen oder religiösen Opposition, weitgehend aus.
Serious Games sind digitale Spiele, die über Unterhaltung hinausgehende Ziele verfolgen, etwa Bildung oder politische bzw. historische Aufklärung. Im geschichtsdidaktischen Kontext zielen sie darauf ab, Geschichte erfahrbar zu machen, zur Reflexion anzuregen und komplexe historische Sachverhalte zugänglich zu vermitteln. Sie verbinden Lernziele mit Spielmechaniken, wobei die spielerische Interaktion selbst Teil des Lernprozesses wird (vgl. Preisinger 2021, 86). Die für historisierende Serious Games typischen Elemente (Tappe/Gennat 2023, 200) werden in 1979 Revolution: Black Friday Großteils umgesetzt. Dadurch, dass die Spieler:innen selbst in die Rolle eines jungen Fotografen schlüpfen und somit in persönliche und politische Konflikte verwickelt sind, sind sie durch Entscheidungsmechanismen, wie beispielsweise Dialogwahl, mit komplexen moralischen Fragen konfrontiert. Besonders charakteristisch ist die Verbindung von narrativem Lernen und emotionaler Immersion. Die dargestellte Geschichte wird multiperspektivisch und auf unterschiedlichen Zeitebenen dargestellt. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft werden wechselnd miteinander verbunden. Das Machen von Geschichte wird durch Reza, der Journalist ist und die Ereignisse dokumentiert, thematisiert. Laut Spielentwickler Navid Khonsari wurden über 40 Interviews mit Zeitzeug:innen geführt, zahlreiche Fotografien und Archivmaterialien gesammelt und in das Spiel eingebettet, um eine möglichst authentische Repräsentation der Revolution zu ermöglichen (ABC News 2017, 03:30-04:12). In einem Interview mit dem American Iranian Council (2016), erwähnt Khonsari auch, dass das Spiel als Bildungsressource verwendet werden könnte. In einem weiteren Interview mit ABC News spricht er darüber, dass der Zweck des Spiels nicht die Vermittlung von historischen Fakten sei, sondern der Erfahrungen von Menschen, die zu dieser Zeit im Iran lebten (ABC News 2017, 03:30-04:12). Folglich bedient sich das Spiel einer erinnerungskulturellen Narration, die auf Betroffenheit, moralischer Ambiguität und Alltagsgeschichte beruht. Es vermeidet heroische Narrative und betont stattdessen die Perspektive der Jugend und der Zivilbevölkerung während revolutionärer Umbrüche. Es handelt sich um eine Form von „history from below“ (Champan 2016, 64).
In Bezug auf die Steuerung und Spielmechanik folgt 1979 Revolution: Black Friday seiner eigenen regelmechanischen Logik. Wie Adam Chapman in seiner Theorie zu digitalen Spielen als Geschichtsmedien herausarbeitet, sind historische Inhalte in Spielen stets durch Spielregeln, Mechaniken und narrative Rahmenbedingungen strukturiert. Er spricht in diesem Zusammenhang von sogenannten „framing controls“, also Einschränkungen, die festlegen, welche historischen Szenarien spielbar, welche Entscheidungen möglich und welche Perspektiven sichtbar gemacht werden (Chapman 2016, 126–127). Diese Framing Controls sind notwendig, um Geschichte in ein interaktives Format zu überführen, führen aber gleichzeitig zu Reduktionen und Vereinfachungen komplexer historischer Verläufe. In 1979 Revolution zeigt sich diese Eigenlogik sehr deutlich: Das Spiel inszeniert scheinbare Entscheidungsfreiheit, etwa durch multiple Antwortmöglichkeiten in Dialogen oder durch unterschiedliche Handlungsoptionen. Doch diese Entscheidungen verlaufen innerhalb vordefinierter narrativer Stränge, deren Struktur bereits vom Spiel festgelegt ist. Die Spieler:innen erleben somit eine gesteuerte Form von Agency, die Chapman als „mechanical agency“ bezeichnet, also eine Form von Handlungsmacht, die sich nur im Rahmen von zuvor programmierten Optionen entfalten kann (vgl. Chapman 2016, 142). Diese Einschränkungen wirken sich auch auf die Darstellung historischer Prozesse aus. Die iranische Revolution als politisch, sozial und ideologisch vielschichtige Bewegung wird im Spiel auf emotional zugängliche Szenen, individuelle Entscheidungsdilemmata und klar erkennbare Konflikte verdichtet. Damit wird Geschichte personalisiert und dramatisiert, um sie für ein digitales Medium spielbar zu machen. Wie Preisinger (2021, 20) betont, sind digitale Spiele in dieser Hinsicht Simulatoren historischer Verläufe, in denen Geschichte nicht erklärt, sondern durch emotional aufgeladene Handlungen erfahrbar wird. So wird die Komplexität der Revolution etwa dadurch vereinfacht, dass der historische Wandel über persönliche Erfahrungen der Spielfigur vermittelt wird: durch die Angst bei Demonstrationen, das Dilemma bei Verhörsituationen oder die Entscheidung, ob man in Schlüsselmomenten die Wahrheit sagt oder schweigt. Der Fokus liegt dabei weniger auf strukturellen Zusammenhängen oder politischen Programmen als auf emotional nachvollziehbaren Situationen.
Fachdidaktische Analyse
In Bezug auf das didaktische Potenzial ist 1979 Revolution: Black Friday vor allem im Hinblick auf multiperspektivisches historisches Lernen interessant, da es kognitive, emotionale und handlungsbezogene Aspekte verbindet. Der Einsatz des Spiels ist vor allem für die historisch-politische Bildung geeignet, da es Räume für sogenanntes „Probehandeln“ schafft und so die Komplexität historischer Entscheidungen erfahrbar macht (Preisinger 2021, 20). Allerdings darf auch dieses Spiel nicht unreflektiert als historischer Erfahrungsraum verstanden werden. Vielmehr handelt es sich bei der im Spiel vermittelten „historischen Agency“, dem vermeintlichen Handeln in der Geschichte, um vordefinierte, algorithmische begrenzte Handlungsoptionen, die bestimmten narrativen und ideologischen Rahmungen folgen. Damit stellen digitale Spiele wie 1979 Revolution letztlich Vergangenheitsdeutungen dar. Diese Deutungen müssen im Unterricht offengelegt und kritisch analysiert werden (Buchsteiner 2023, 159-161). Der didaktische Zugang darf daher nicht darin bestehen, Geschichte über Spiele zu 'erleben', sondern muss die Repräsentationen und Spielregeln selbst zum Gegenstand historischer Analyse machen (Buchsteiner 2023, 163).
Das Spiel bietet verschiedene Möglichkeiten für historisches Lernen im Sinne geschichtsdidaktischer Kompetenzmodelle. Als Serious Game erfüllt es mehrere zentrale didaktische Prinzipien, wie beispielsweise die der Multiperspektivität und Kontroversität. Durch die Figuren, die der:die Spieler:in kennenlernt und die Entscheidungen, die getroffen werden müssen, erleben die Spielenden unterschiedliche Sichtweisen auf die islamischen Revolution. Zudem werden die im Spiel vorkommenden Ereignisse nicht als abgeschlossene Handlungen dargestellt, sondern als konfliktreicher Prozess mit konkurrierenden Deutungen. Außerdem fördert das Spiel die Handlungsorientierung, da die Spieler:innen selbst über den Spielverlauf entscheiden und im Anschluss eigene Urteile fällen sowie dieses Wissen für weitere Arbeiten oder Diskussionen verwenden können. Hinsichtlich der fachlichen Konzepte nach Bodo von Borries (2015) kann das Spiel unterstützend zur Identitätsbildung wirken. Die Beschäftigung mit Fragen zu Loyalität, Widerstand und Mitläufertum regt zur Auseinandersetzung mit der eigenen Haltung an. Des Weiteren sind bei 1979 Revolution diverse Quellen eingebaut, welche für das Verständnis der Komplexität der Revolution wesentliches Erkenntnispotenzial bieten. Das Konzept „Quelle-vs.-Darstellung“ kann anhand dieses Spiels somit ebenfalls gut bearbeitet werden, da im Spiel Zeitzeug:innenaussagen, Fotos und Zeitdokumente unterschiedlicher Quellengattungen vorkommen. Von einer kompetenzorientierten Arbeit an Quellen im Sinne schulischer Kompetenzmodelle lässt sich allerdings nicht sprechen. Solche Aufgaben müsste die Lehrkraft von außen an das Spiel herantragen. Außerdem eignet sich das interaktive Spiel zur Exploration der Konzepte „Geschichtskultur“ und „Geschichtspolitik“. Das Game ist selbst Teil der aktuellen Erinnerungskultur und verdeutlicht, wie Vergangenheit medial inszeniert und gedeutet wird. Nach dem Kompetenzmodell von Hasberg/Körber (2003, 187) können mit 1979 Revolution: Black Friday zentrale historische Kompetenzen gefördert werden. Das Spiel unterstützt die Entwicklung der Sachkompetenz, indem es grundlegende Informationen über politische, gesellschaftliche und kulturelle Bedingungen im Iran der 1970er Jahre vermittelt. Dabei erhalten die Spieler:innen sowohl inhaltliches Grundwissen der historischen Zusammenhänge als auch Einblick in die damit zusammenhängenden komplexen gesellschaftlichen Konflikte. Die Auseinandersetzung mit dem Spiel begünstigt zudem die Entwicklung von Methodenkompetenz, insofern die Lernenden angeleitet werden, das Spiel als historische Darstellung zu analysieren. Schließlich kann das Spiel die Orientierungskompetenz begünstigen, indem die historisch ‚gemachten‘ Erfahrungen mit gegenwärtigen Fragen in Verbindung gesetzt werden. Themen wie Protest, Unterdrückung, Propaganda oder die Rolle von Medien können als Anknüpfungspunkte zur eigenen Lebenswelt herangezogen werden.
Folglich ist 1979 Revolution: Black Friday nicht nur ein motivierender Lernanlass, sondern erfüllt zentrale fachdidaktische Anforderungen. Das Spiel ist ein vielschichtig einsetzbares Medium zur Förderung eines (selbst-)reflexiven Geschichtsbewusstseins. Das Spiel ist aufgrund von Folterszenen mit der maximal möglichen Alterseinstufung belegt. Allerdings finden sich eine Vielzahl von Abschnitten, die gewaltfrei sein. Besonders geeignet für die didaktische Anwendung ist Kapitel 4 („Nicht der Iran, den du verlassen hast“), in dem man durch die Straßen Teherans spaziert, Aufnahmen macht und in Form eines digitalen Museums mit Digitalisaten interagieren kann.
Quellen- und Materialverzeichnis
ABC News (2017): Video game puts players in the Iranian Revolution. In: YouTube. Online: https://www.youtube.com/watch?v=jZMzfhAUKpU (Zugriff: 24.6.2025).
American Iranian Council (2016): Iran Chat: Interview with Navid Khonsari, Developer of the Game “1979 Revolution: Black Friday”. In: Iran Chat. Online:
https://www.us-iran.org/news/2016/9/8/iran-chat-interview-with-navid-khonsari-developer-of-the-game-1979-revolution-black-friday (Zugriff: 13.08.2025).
Buchsteiner, Martin (2023): Digitale Spiele im Geschichtsunterricht – eine (geschichtsdidaktische) Überforderung? In: Zeitschrift für Geschichtsdidaktik, 01/2023, S. 157–165.
Chapman, Adam (2016): Digital Games as History. How Videogames Represent the Past and Offer Access to Historical Practice. New York.
Elliott, Andrew B. R./Kapell, Matthew Wilhelm (Hg.) (2013): Playing with the Past. Digital Games and the Simulation of History. London.
Hasberg, Wolfgang/Körber, Andreas (2003): Geschichtsbewusstsein dynamisch. In: Körber, Andreas (Hg.), Geschichte – Leben – Lernen. Bodo von Borries zum 60. Geburtstag. Schwalbach, S. 179–202.
iNK Stories (2016): 1979 Revolution: Black Friday. VLG Publishing
Jenkins, Henry (2012): Game design as narrative architecture. In: Wardrip-Fruin, Noah/Harrigan, Pat (Hg.). First Person: New Media as Story, Performance, and Game. Cambridge, S. 118.
Preisinger, Alexander (2021): Digitale Spiele in der historisch-politischen Bildung. Frankfurt.
Tappe, Eik Henning/Gennat, Markus (2023): Spielend Lernen? Ein kritischer Vergleich zwischen Lernmöglichkeiten in digitalen Spielen, Serious Games und Gamification. In: Bigl, Benjamin/Stoppe, Sebastian (Hg.). Game-Journalismus. Grundlagen - Themen - Spannungsfelder. Ein Handbuch. Wiesbaden, S. 193-207. https://doi.org/10.1007/978-3-658-42616-3_13 (Zugriff: 23.06.2025).
Uricchio, William (2005): Simulation, History, and Computer Games. In: Raessens, Joost/Goldstein, Jeffrey. (Hg.). Handbook of Computer Game Studies. Cambridge, S. 327–338.
von Borries, Bodo (2015): „Subjektorientiertes“ Geschichtslernen ist nur als „identitätreflektierendes“ wünschenswert! In: Ammerer, Heinrich/Hellmuth, Thomas/Kühberger, Christoph (Hg.). Subjektorientierte Geschichtsdidaktik. Schwalbach, S. 93-130.