Mit Datum 7. April, etwa einen Monat nach den "Klarstellungen" waren in Italien nach Angaben der Plattform "Statista" 135.574 Personen mit Covid-19 infiziert und 17.179 am Virus gestorben. Agamben schreibt nicht darüber, sondern er konstatiert den verborgenen ethischen und politischen Zusammenbruch des ganzen Landes. ("Com’è potuto avvenire che un intero paese sia senza accorgersene eticamente e politicamente crollato di fronte a una malattia?") Wieder das Motiv der Ahnungslosigkeit inmitten des Zusammenbruchs, das den Autor unwillkürlich als Propheten gegenüber dem willfährigen Volk, das seinen Führern blind folgt, ausweist.
Auszüge aus Giorgio Agambens Una domanda:
Ich möchte denjenigen, die es wünschen, eine Frage stellen, die mich schon seit über einem Monat beschäftigt. Wie konnte es geschehen, dass ein ganzes Land angesichts einer Krankheit ethisch und politisch zusammenbrach, ohne es zu merken? Die Worte, die ich zur Formulierung dieser Frage verwendet habe, habe ich sorgfältig und einzeln überlegt. Das Maß für den Verzicht auf die eigenen ethischen und politischen Grundsätze ist im Grunde sehr einfach: Es geht darum, sich zu fragen, wo die Grenze liegt, über die hinaus man nicht bereit ist, auf sie zu verzichten. Ich glaube, dass der Leser, der sich die Mühe macht, die folgenden Punkte zu bedenken, nicht umhin kommt, zuzustimmen, dass - ohne es zu wissen oder so zu tun, als ob er es nicht wüsste - die Schwelle zwischen Menschlichkeit und Barbarei überschritten wurde.
Agamben spricht von der Grenze, die zwischen den gelebten Grundsätzen einer Gesellschaft und deren Übertretung liegen. Die roten Linien sind allesamt übertreten, ohne dass es bemerkt worden wäre. Dazu als widerstrebenden Kommentar eine Grenzbetrachtung zu Zeiten der Pandemie:
Nochmals der Hinweis auf die Ahnungslosigkeit, mit welcher der komplette Zusammenbruch vonstatten gegangen sei.
2) Wir haben dann ohne große Mühe akzeptiert, nur im Namen eines nicht näher zu bezeichnenden Risikos, unsere Bewegungsfreiheit in einem Ausmaß einzuschränken, wie es in der Geschichte des Landes noch nie vorgekommen ist, nicht einmal während der beiden Weltkriege (die Ausgangssperre während des Krieges war auf bestimmte Stunden beschränkt). Wir akzeptierten also, nur aufgrund eines nicht näher spezifizierbaren Risikos, unsere Freundschafts- und Liebesbeziehungen auszusetzen, weil unser Nachbar zu einer möglichen Ansteckungsquelle geworden war.
Das angesprochene Risiko ist zu diesem Zeitpunkt allgemein erkennbar. Agambens Warnungen im Februar sind verständlich, im April ist diese Formulierung unverständlich. So wie er von einem rückhaltslosen Opfer angesicht der Möglichkeit einer Krankheit spricht, entwirft er auch hier eine unbalanzierte Gegenüberstellung zwischen einer den Kriegszustand übertreffenden Quarantäne und einem "nicht näher zu bezeichnenden Risiko" ("Abbiamo conseguentemente accettato, soltanto in nome di un rischio che non era possibile precisare").
Wenn dieser Zustand jedoch über seine räumlichen und zeitlichen Grenzen hinausgeht, wie es heute versucht wird, und zu einer Art Prinzip des sozialen Verhaltens wird, geraten wir in Widersprüche, aus denen es keinen Ausweg gibt. Ich weiß, dass einige darauf antworten werden, dass es sich um einen begrenzten Zeitraum handelt, nach dem alles wieder in den alten Zustand zurückkehrt. Es ist in der Tat seltsam, dass dies wiederholt werden kann, wenn auch nicht in böser Absicht, da dieselben Behörden, die den Notstand ausgerufen haben, nicht aufhören, uns daran zu erinnern, dass nach Beendigung des Notstands dieselben Richtlinien weiterhin befolgt werden müssen und dass die "soziale Distanzierung", wie sie mit einem bezeichnenden Euphemismus genannt wurde, das neue Prinzip der Organisation der Gesellschaft sein wird. Und auf jeden Fall kann das, was wir in gutem oder schlechtem Glauben auf uns genommen haben, nicht rückgängig gemacht werden.
"dass es sich um einen begrenzten Zeitraum handelt". Die ab 11. März beschlossenen italienischen Maßnahmen gegen die erste Welle wurden am 18. Mai 2020 zurückgenommen. Die folgenden Wellen und die damit verbundenen Vorkehrungen standen im Zeichen des Initialschocks, seiner gesundheitspolitischen Abfederung und des damit (hier trifft Agamben einen wichtigen Punkt) verbundenen Gewöhnungseffekts und der Bürgerproteste.
Seit langem haben wir uns an den unüberlegten Einsatz von Notstandsdekreten gewöhnt, mit denen die Exekutive faktisch an die Stelle der Legislative tritt und der Grundsatz der Gewaltenteilung, der die Demokratie ausmacht, aufgehoben wird. Aber in diesem Fall sind alle Grenzen überschritten, und man hat den Eindruck, dass die Worte des Ministerpräsidenten und des Leiters des Katastrophenschutzes, wie die des Führers, unmittelbare Gesetzeskraft haben. Und es ist schwer vorstellbar, wie die Freiheitsbeschränkungen, wie angekündigt, aufrechterhalten werden können, wenn die zeitliche Gültigkeit der Notstandsdekrete erschöpft ist. Mit welchen rechtlichen Mitteln? Mit einem permanenten Ausnahmezustand? Es ist die Aufgabe der Juristen, zu überprüfen, ob die Regeln der Verfassung eingehalten werden, aber die Juristen schweigen. Quare silete iuristae in munere vestro?
EINSCHUB
Dieses Zitat ist das Motto, welches der italienische Rechtsgelehrte Giorgio Agamben seiner spektakulären, in der Tradition Walter Benjamins (s.u.) geführten Untersuchung 'Stato di eccezione' (2003/ deutsche Übersetzung 'Ausnahmezustand' 2004) vorangestellt hat ("Warum schweigt ihr Juristen in der Ausübung eures Dienstes?").
Als Klappentext hervorgehoben steht auf diesem Buch, das alle hier im bzw. durch diesen TP-Artikel aufgeworfenen/berührten Fragen in geradezu archäologisch konkreter Weise zu beantworten vermag: "Angesichts der unaufhaltsamen Steigerung dessen, was als "weltweiter Bürgerkrieg" bestimmt worden ist, erweist sich der Ausnahmezustand in der Politik der Gegenwart immer mehr als das herrschende Paradigma des Regierens."
Der bekanntlich von den Schergen des - einem weiteren italienischstämmigen Gelehrten unserer Tage, nämlich Guido Preparata ('Conjuring Hitler') zufolge von den führenden englisch-amerikanischen Finanz-Clubs durch eine langfristige politisch-ökonomische Strategie herbeigesteuerten - Hitlerwahnsinns in den Tod gehetzte Benjamin, der begnadete Autor unter anderem des 1919er Essays 'Zur Kritik der Gewalt', hinterließ das (posthum 1942 veröffentlichte) Fragment 'Geschichtsphilosophische These Nr. 8', in welchem er Sätze aufschrieb, die es, wenn sich irgend etwas ändern soll im langfristig vom "BRD"-Juristen Schäuble und seiner "DDR"-Frontpuppe Merkel im ganz genau selben Fahrwasser verschobenen "United Deutschland", unbedingt in die Praxis umzusetzen gilt: "Die Tradition der Unterdrückten belehrt uns darüber, daß der "Ausnahmezustand", in dem wir leben, die Regel ist. Wir müssen zu einem Begriff der Geschichte kommen, der dem entspricht. Dann wird uns als unsere Aufgabe die Herbeiführung des w-i-r-k-l-i-c-h-e-n Ausnahmezustands vor Augen stehen; und dadurch wird unsere Position im Kampf gegen den Faschismus sich verbessern. (...)"
Agamben hat ausgeführt, dass der ethisch-politische Zusammenbruch der Moral des ganzen Landes stattfand, ohne dass er bemerkt wurde. Er bezieht sich nun aber auf Personen, die angebe, sie "im Namen moralischer Grundsätze" gebracht zu haben. Das passt nicht zusammen. Um die Einwände dieser Landsleute zu entkräften, greift er zu einem verwegenen Argument.
Ich weiß, dass es immer diejenigen geben wird, die antworten werden, dass das Opfer, so schwerwiegend es auch sein mag, im Namen moralischer Grundsätze erbracht wurde. Ich möchte sie daran erinnern, dass Eichmann, offenbar in gutem Glauben, nicht müde wurde zu wiederholen, dass er das, was er getan hat, nach seinem Gewissen getan hat, im Gehorsam gegenüber dem, was er als die Gebote der kantischen Moral ansah. Eine Norm, die besagt, dass man auf das Gute verzichten muss, um das Gute zu retten, ist ebenso falsch und widersprüchlich wie eine, die zum Schutz der Freiheit den Verzicht auf die Freiheit verlangt.
"A costoro vorrei ricordare che Eichmann, apparentemente in buon fede, non si stancava di ripetere che aveva fatto quello che aveva fatto secondo coscienza ..." Eichmanns offenbar irrige Selbstrechtfertigung dient hier als Gegenbeispiel für den Anspruch, in umstrittenen Verhältnissen nach bestem Gewissen gehandelt zu haben. Wenn derartige Selbsttäuschungen diesen Anspruch widerlegen, bricht die Moral ohne Übertreibung zusammen. Das würde nämlich bedeuten, dass alle redlichen Berufungen auf eine Gewissensentscheidung umstandslos durch den Fall Eichmann widerlegbar sind.
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