- Erstellt von Steinböck Matthias, zuletzt aktualisiert von Preisinger Alexander am 10. Sep 2025 Lesedauer: 8 Minute(n)
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Pentiment ist ein historisches Point-and-Click-Abenteuerspiel, entwickelt von Obsidian Entertainment, das am 15. November 2022 von Xbox Game Studios veröffentlicht wurde. Das Spiel ist für Nintendo Switch, PC und Xbox verfügbar. Spieler:innen übernehmen die Rolle des Künstlergesellen Andreas Maler, der in einem Benediktinerkloster in Oberbayern an einem kunstvollen Manuskript arbeitet. Als sich plötzlich eine Reihe von Mordfällen ereignet, gilt es diese aufzuklären. Die Handlung erstreckt sich über einen Zeitraum von 25 Jahren, erzählt in drei Akten. Das Spiel bietet eine detailreich ausgestaltete 2D-Optik im Stil mittelalterlicher Illustrationen und wurde in elf Sprachen, darunter Deutsch, Englisch, Spanisch und Koreanisch, übersetzt. Pentiment bezeichnet sich als historisches Spiel, ist aber kein Serious Game mit wissenschaftlichem oder pädagogischem Anspruch.
Allgemeine Spielanalyse
Pentiment orientiert sich am Vorbild Umberto Ecos Der Name der Rose (ital. Il nome della rosa) (Sawyer 2023, 00:03:51-00:04:32). In drei Akten wird die Geschichte eines mittelalterlichen Dorfes und der anliegenden Abtei erzählt. Der zentrale Handlungsstrang des ersten Aktes handelt von Andreas Maler, einem Studenten und Künstlergesellen, der in einem kleinen Dorf und der anliegenden Abtei an seinem bisher kunstvollsten Manuskript arbeitet, dann aber in Mordfälle verstrickt wird und diese aufklären will.
Das Spiel ist ein Narrative-Adventure-Game mit Rollenspielelementen. Die Handlung findet im fiktionalen Dorf Tassing und der anliegenden fiktiven Benediktinerabtei Kiersau in Oberbayern statt. Auch wenn diese Orte fiktional sind, wird wiederholt Bezug auf reale Orte wie Nürnberg oder Innsbruck genommen. Das Spiel ist im 16. Jahrhundert angesiedelt: Die drei erzählerischen Akte erstrecken sich über einen Zeitraum von dreißig Jahren, vom Jahr 1513 bis 1543. Die Handlung ist komplett fiktiv, es kommen aber auch historisch relevante Ereignisse (z.B. Thesenanschlag Luthers) vor. Ein zentrales Gameplayelement sind die Dialoge: Der:die Spieler:in kann entscheiden, welche Worte Andreas wählt, und somit den Verlauf der Geschichte mitgestalten. Manche der Dialogoptionen sind für den größeren Verlauf der Handlung irrelevant und verändern nur kurzfristig den Verlauf eines Gesprächs oder tragen zur Charakterisierung des Protagonisten Andreas bei, andere üben gravierenden Einfluss auf die Geschehnisse und Charaktere aus. Das Spiel verfügt auch über eine explorative Dimension, die nach Point-and-Click-Prinzip funktioniert. Wird ein Element am Bildschirm ausgewählt, führt dies zu einem Dialog oder einen kurzen Einblick in die Gedanken des Protagonisten. Diese Grundmechanik wird vereinzelt durch simple Minigames aufgebrochen. Die visuelle Gestaltung orientiert sich an mittelalterlichen Illustrationen und neuzeitlichem Holzdruck (Universitätsbibliothek Wien 2024, 00:12:44-00:14:33). Für das Spiel wurden auch eigene Schriftarten entwickelt, die in ihrer Animation realistisches Schreibverhalten imitieren. Welche Schrift für einen Charakter benutzt wird, ist abhängig von dessen sozialer Stellung und Bildung (bzw. davon, wie der Protagonist Andreas diese einschätzt). So gibt es zum Beispiel eine Schriftart für „Humanisten“, also gebildete Personen (Universitätsbibliothek Wien 2024, 00:17:10-00:28:10). Das Spiel verfügt über keine Vertonung der Dialoge, wohl aber über Soundeffekte und Hintergrundmusik. Diese ist angelehnt an Musik des Spätmittelalters und stammt von der Gruppe Alchemie (Universitätsbibliothek Wien 2024, 00:14:35-00:16:23). Das Spiel lässt sich wahlweise per Controller oder, wenn es am PC gespielt wird, mit Maus und Tastatur steuern. Im Spiel kann man über Andreas‘ Notizbuch Informationen nachschlagen. Wird in einem Dialog eine handlungsrelevante Entscheidung getroffen, wird dies nach der Auswahl angezeigt. Das Spiel speichert regelmäßig automatisch, wenn man einen Ort verlässt oder ein wichtiges Gespräch beendet.
Es gibt keinen Mehrspielermodus und keine offizielle online Community. Unter r/Pentiment existiert aber eine Reddit-Community, in der das Spiel und die historischen Inhalte besprochen werden. Auch existieren mehrere YouTube-Kanäle mit Videos zum Spiel. Als Zielgruppe lassen sich vor allem geschichtsinteressierte Erwachsene identifizieren. Pentiment verfügt aktuell (Stand September 2025) über keine Lootboxen oder DLCs und hat laut der Webseite Video Games Insights bisher 3,2 Millionen US Dollar eingespielt.
Fachspezifische Analyse
Der leitende Entwickler Josh Sawyer hat sich mehrmals öffentlich zur Entwicklung von Pentiment geäußert. So findet sich auf seinem YouTube-Kanal beispielsweise ein Video mit dem Titel „Mixing History and Fiction in ‚Pentiment‘“ (Sawyer 2023), in welchem er diverse Designentscheidungen erläutert. Auch an der Universität Wien hielt er einen Gastvortrag mit dem Titel „Painting on Silicon“ (Universitätsbibliothek Wien 2024). Sawyer hat selbst ein Geschichtsstudium abgeschlossen und sich in seiner Studienzeit vor allem auf das Heilige Römische Reich und die frühe Neuzeit fokussiert (Sawyer 2023, 00:00:20-00:01:24). Er hatte schon seit seiner Jugend Interesse an historischen Spielen, Pentiment ist das Resultat dieser persönlichen Begeisterung (Universitätsbibliothek Wien 2024, 00:04:55-00:07:10).
Wie bereits erwähnt ist das Spiel in weiten Teilen inspiriert von Umberto Ecos Der Name der Rose (ital.: Il nome della rosa), in welchem es ebenfalls um Morde in einem Kloster geht. Durch Bezüge wie diesen ist das Spiel auch von popkulturellen bzw. medialen Darstellungen des Mittelalters beeinflusst (Sawyer 2023, 00:03:51-00:04:32). Auf der Videospielplattform Steam wird behauptet, dass man durch das Spiel das 16. Jahrhundert „erleben“ könne, was einen gewissen Anspruch an Historizität und Authentizität signalisiert. Die offizielle Webseite ist etwas gemäßigter, betont aber durchaus, dass das Spiel historisch sei. Der Director und Lead Writer Josh Sawyer selbst stellt keinen Authentizitätsanspruch. Er beschreibt das Spiel als „historical fiction“, nicht als eine Darstellung historischer Ereignisse. Laut ihm war es die Aufgabe des Teams, einen geschichtlichen Rahmen zu schaffen, in dem eine fiktive Handlung stattfinden kann, für die das Team intensive Recherchearbeit leistete (Sawyer 2023, 00:12:14-00:16:10). Auch Historiker:innen wurden zu Beratung herangezogen (Universitätsbibliothek Wien 2024, 00:37:03-00:39:40). Nicht zuletzt deshalb ist das Spiel auch gefüllt mit historischen Inhalten und Referenzen. So träumt Andreas zum Beispiel von einem Schiff voller Narren, was klar als eine Anspielung auf Daß Narrenschyff ad Narragoniam, dem 1494 erschienenen Buch von Sebastian Brant, zu lesen ist (Lippok 2024). Um der Handlung folgen zu können, ist dennoch kein Vorwissen notwendig, alle nötigen Informationen werden im Dialog erläutert und durch Einträge im spielinternen Glossar ergänzt (Sawyer 2023, 00:47:39-00:50:11). Sawyer beschreibt die Handlung und das fiktionale Setting als historisch möglich, aber unwahrscheinlich. Es gibt viele Aspekte in Tassing und Kiersau, die für die damalige Zeit außergewöhnlich gewesen wären (römische Ruinen, Klosterskriptorium im 16. Jahrhundert) (Sawyer 2023, 00:35:34-00:38:20) und Sawyer ist auch transparent bezüglich der Inkludierung einiger Inhalte, die komplett ahistorisch sind. So greift etwa das Design einer Windmühle auf Elemente zurück, die erst in späteren Jahrhunderten entwickelt wurden, um den Wiedererkennungswert des Gebäudes als Windmühle für ein modernes Publikum zu sichern (Sawyer 2023, 00:21:31-00:22:38). Auch die Gestaltung Klosterskriptoriums stellt für das 16. Jahrhundert einen Anachronismus dar. Diese Widersprüche zwischen Spielgestaltung und historischer Realität werden mitunter im Spiel direkt angesprochen (Sawyer 2023, 00:35:12-00:38:10). Der visuelle Stil und die Musik schaffen ein historisches Authentizitätsgefühl, da sie sich an den Trends der dargestellten Epoche orientieren. Die visuelle Gestaltung, welche als Mischung aus mittelalterlichem Manuskript und neuzeitlichen Holzdruck zu charakterisieren ist, ist repräsentativ für den im Spiel aufgegriffenen thematischen Schwerpunkt des „Epochenwechsels” (Universitätsbibliothek Wien 2024, 00:12:44-00:14:33). Die für Pentiment angefertigten Schriftarten wurden bewusst auf eine Art und Weise gestaltet, die physische Handschrift imitiert. Die Fonts sind inspiriert von historischen Skripten, dadurch soll das Gefühl der Historizität für die Spielenden verstärkt werden. Es gibt sechs verschiedene Schriftarten für unterschiedliche soziale Gruppen (Mönche/Nonnen, Studierte Personen, gebildetes und ungebildetes Volk, Drucker). So ist dieses technische Element verknüpft mit dem inhaltlichen Element der sozialen Ungerechtigkeit, wie es wiederholt in der Handlung vorkommt. Anhand der Schriftart erkennt der:die Spieler:in sofort die soziale Stellung eines Charakters (Universitätsbibliothek Wien 2024, 00:17:10-00:28:10). Außerdem nutzt das Spiel Minigames, um einen kleinen, sehr reduzierten Einblick in mittelalterliche Arbeitsabläufe zu geben (z. B. Schmieden, Wolle spinnen) (Obsidian Entertainment 2022, 00:06:17-00:06:38). Insgesamt betrachtet bietet Pentiment ein Gegennarrativ zu verbreiteten Mittelaltervorstellungen. Nicht Ritter und Burgen, sondern hauptsächlich ‚einfache Leute‘ (Bauern, Bäcker, Steinmetz) und Geistliche (Mönche, Nonnen) stehen im Mittelpunkt. Die Charaktere sind multidimensional, verbalisieren komplexe Wertvorstellungen und erscheinen somit als vollentwickelte Individuen. Zusammengefasst lässt sich also sagen, dass die Entwickler:innen beträchtliche Mühen auf sich genommen haben, um den Spieler:innen ein möglichst authentisches subjektives Spielgefühl zu bieten – ein Umstand, der besonders bemerkenswert ist, nachdem Pentiment nach Angaben der Entwickler:innen selbst gar keinen Authentizitätsanspruch stellt.
Fachdidaktische Analyse
Trotz dieser wertvollen Aufarbeitung der Epoche kann das Spiel herausfordernd zu didaktisieren sein, da es ausgesprochen story- und textlastig ist. Das Gameplay ist dialogbasiert anstatt actionreich, wodurch es für ein jüngeres Publikum uninteressant wirken könnte. Auch bauen alle Handlungsstränge auf den vorhergegangenen auf, die Dialoge oder Szenen könnten daher ohne ausreichende Kontextualisierung verwirrend sein. Da das Spiel automatisch speichert, ist es nicht möglich, einzelne Abschnitte abzurufen. Für die Lehrkraft bedeutet das einen erheblichen Mehraufwand, da etwa Spielstände an die Schüler:innen bzw. Konsolen verteilt werden müssten. Daher eignet sich zur Didaktisierung am ehesten der Beginn des Spiels und hier besonders das Benediktinerkloster im fiktiven Kiersau. Das Spiel lässt sich hierbei abbildend und immanent verwenden, um mittelalterliches Leben (Dorf und Kloster) sowie Biografien und Berufe (Charaktererstellung) kennen zu lernen und kann Interesse für eine weitere Beschäftigung mit frühneuzeitlichen Lebensverhältnissen bieten (historische Sachkompetenz). Werden zusätzlich Quellen eingebracht, kann das Spiel historisch kontextualisiert oder de-konstruiert werden (historische Methodenkompetenz, historische Orientierungskompetenz). Hier bietet sich besonders das Klostergebäude mit seinen unterschiedlichen Architekturen und Funktionsbereichen an, welches die Schüler:innen anhand eigener Forschungsfragen (historische Fragekompetenz) erkunden könnten. Spielextern bieten sich die zahlreichen Statements des Entwicklers für eine Kontextualisierung an. Hierbei lassen sich Designentscheidungen, wissenschaftliche Erkenntnisse und Spielfunktion in ein spannungsreiches Verhältnis setzen. Das Spiel wird somit als geschichtskulturelles Produkt sichtbar (historische Methodenkompetenz, historische Orientierungskompetenz).
Didaktisierungen
Didaktisierung 1: Quellenarbeit
Diese Didaktisierung beschäftigt sich mit der Gegenüberstellung von Quellen und Darstellungen im Kontext des Mittelalters und der Frühen Neuzeit (15. Jh.). Sie richtet sich primär an Schüler:innen der ersten Klasse der Oberstufe (Sekundarstufe II), kann jedoch mit entsprechender Anpassung und Unterstützung auch in der Unterstufe eingesetzt werden. Ziel ist es, anhand von Bildquellen zu analysieren, wie im Videospiel Pentiment ein mittelalterliches Kloster dargestellt wird. Dabei werden vor allem die Methoden- und Sachkompetenz gefördert.
Didaktisierung 2: Vorstellungen zum Thema Mittelalter reflektieren
Im vorliegenden Unterrichtsentwurf sollen die Schüler:innen anhand des Videospiels Pentiment lernen, ihre voreingenommenen Vorstellungen zum Thema Mittelalter zu hinterfragen. Dieses Material wurde für die 1. Klasse der Sekundarstufe (9. Schulstufe) konzipiert. Die Schüler:innen fertigen eigene Darstellungen zum Schlagwort „Mittelalter“ an, welche anschließend mit den Inhalten des Spiels verglichen werden.
Quellen- und Materialverzeichnis
Eco, Umberto (1980): Il nome della rosa. Mailand.
How long to beat (2025): How long is Pentiment?. Online: https://howlongtobeat.com/game/109237 (Zugriff: 13.3.2025).
Lippok, Juliane (2024): Pentiment und seine Bilder. In: Hypotheses. Online: https://mittelalter.hypotheses.org/32313 (Zugriff: 13.3.2025).
Obsidian Entertainment (2022): Behind the scenes of pentiment - behind the ink. In: Youtube. Online: https://www.youtube.com/watch?v=AjIfxeNhrj4. (Zugriff: 13.3.2025).
Sawyer, Joshua (2023): Mixing History and Fiction in Pentiment. In: YouTube. Online: https://www.youtube.com/watch?v=mhZcNA16m8A&list=PLjDJWKlPN46dDoXfBciCZ-rJ8Z6Ofc-_G (Zugriff: 13.3.2025).
Universitätsbibliothek Wien (2024): Josh Sawyer – 'Painting on Silicon: Creating the 2022 Historical Video Game Pentiment.' In: YouTube. Online: https://www.youtube.com/watch?v=eeVOHXvGswc (Zugriff: 13.3.2025).
Video Game Insights. Pentiment - Steam Stats. Online: https://vginsights.com/game/pentiment (Zugriff: 29.8.2025).
Der vorliegende Beitrag basiert auf Texten von Sarah Huber und Magdalena Steger.
Pentiment | |
Cover |
|
Entwickler | Obsidian Entertainment |
Publisher | Xbox Game Studios |
Genre | Historisches Adventuregame, Point-and-Click Adventure |
Art des Spiels | Kommerziell |
Erscheinungsjahr | 2022 |
Altersfreigabe | PEGI 16 |
Thema | Spätmittelalter, frühe Neuzeit, Alltagsgeschichte, Kloster, Mystery, Kunst |
Plattformen | PC, PlayStation 4, Xbox, Nintendo Switch |
Sprache(n) | Englisch, Französisch, Deutsch, Spanisch, Italienisch (keine Vertonung) |
Spieldauer | 15-17 Stunden (howlongtobeat 2025) |
Link zur Website | https://pentiment.obsidian.net/, https://store.steampowered.com/app/1205520/Pentiment/ |
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