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Enzyklopädische Einleitung

The New York Times Simulator ist ein satirisches Nachrichtenspiel, entwickelt von Paolo Pedercini unter dem Pseudonym „Molleindustria“. In diesem Spiel übernehmen die Spielenden die Rolle der Chefredaktion der renommierten Zeitung The New York Times und treffen Entscheidungen darüber, welche Nachrichten auf der Titelseite erscheinen. Dabei gilt es, die Leser:innenzahlen zu maximieren und gleichzeitig die Zustimmung dreier mächtiger Interessengruppen – der Polizei, der Reichen und des Staates Israel – aufrechtzuerhalten. Das Spiel dient zentral als Kritik an der Medienberichterstattung, und thematisiert durch seine Spielmechaniken die Theorie der „Manufactured Consent“ von Noam Chomsky (Klaehn 2002, 147 – 149), die beschreibt, wie Medien durch selektive Berichterstattung Stimmung für bestimmte Ideologien generieren. (Für die didaktische Nutzung dieses Spiels ist allerdings sensible Kontextualisierung bzw. De-Konstruktion nötig, da es sonst antisemitische Eindrücke vermitteln könnte.)

Medienleiste für Spielvorstellungen und erstes Kennenlernen

(Datenschutz weil Taskleiste offen?) 



The New York Times Simulator

Cover

 

Entwickler

Molleindustria

Publisher

Molleindustria

Genre

Simulation, Satire (politisch linker bias)

Art des Spiels

Serious Game, kostenlos, Indie

Erscheinungsjahr

2024

Altersfreigabe

USK 0

Thema

Medien, Berichterstattung, Propaganda, Redaktionsentscheidungen, Framing

Plattformen

PC, Smartphone (im Browser spielbar)

Sprache(n)

Englisch

Spieldauer

Ca. 12 Minuten

Link zur Website

molleindustria.itch.io/the-new-york-times-simulator

Allgemeine Spielanalyse

Im Zentrum des Spiels steht das digitalisierte Titelblatt der renommierten Zeitung The New York Times. Die Spieler:innen übernehmen die Rolle der Chefredaktion und treffen zentrale publizistische Entscheidungen: Sie bestimmen nicht nur, welche Beiträge veröffentlicht werden, sondern auch wie diese auf dem Titelblatt angeordnet werden und wie viel Raum den jeweiligen Artikeln gewidmet wird. Vor der Publikation jedes Artikels , hat der:die Spieler:in die  Möglichkeit, die Schlagzeilen zu editieren. Dies wird simuliert, indem dem:der Spieler:in für jeden Artikel eine ursprüngliche und eine alternative Headline vorgeschlagen wird, aus welchen eine ausgewählt werden muss. Beide Überschriften sind jedoch inhaltlich fixiert und können nicht kreativ verändert werden, die Rolle der Spielenden beschränkt sich also darauf, aus einer von zwei vorgegebenen Optionen zu wählen.

The New York Times Simulator präsentiert zwei zentrale Zielparameter, erstens gilt es die Leser:innenzahlen zu maximieren und zweitens die drei große vom Spiel vorgegebene Interessensgruppen durch die inhaltliche Schwerpunktsetzung der täglichen Zeitungsausgaben zufriedenzustellen. Das Spiel nennt „Israel“, „The Police“ und „The Rich“ als die drei zentralen Interessensgruppen, welche die Berichterstattung der New York Times beeinflussen. Um diese Zielparameter zu erfüllen, empfiehlt es sich, die New York Times gleichzeitig reißerisch aber auch systemkonform zu gestalten. Die Leser:innenzahlen steigen vor allem bei möglichst sensationalisierender und emotionalisierender Berichterstattung, die Interessensgruppen wiederum reagieren höchst sensibel auf eine inhaltliche Veränderung der Blattlinie - dies wird durch Barometer visualisiert, die darstellen, wie wohlgesonnen jede der drei Interessensgruppen der New York Times gegenüber zu jedem gegebenen Zeitpunkt sind.  Schafft es der:die Spieler:in nicht, die Interessen der oben angeführten Gruppen zu schützen, dann verwarnt die jeweilige Gruppe die Chefredaktion der Zeitung. Kommt es nach den ersten Verwarnungen zu wiederholten Interessenskonflikten durch kritische Nachrichtenerstattung, so verliert der:die Spielende das Spiel. Gelingt es jedoch, die Interessen der New York Times mit jenen der drei einflussreichen Interessensgruppen in Einklang zu bringen, so erfährt man Lob vom Spielsystem. The New York Times Simulator entpuppt sich hiermit trotz der simplen Grundmechanik als erstaunlich interaktives System.

Formal lässt sich The New York Times Simulator den Genres der Browsergames und der Simulationsspiele verorten. Des Weiteren lässt sich das Spiel auch als Exemplar der Kategorie der Serious Games verstehen, da es, trotz seiner satirischen Natur, zur Reflexion und Kritik der modernen westlichen Medienlandschaft anregt. Die grafische Gestaltung des Spiels ist simplistisch gehalten und die Grundmechanik ist leicht erlernbar, da die mechanischen Handlungsoptionen stark begrenzt sind. Auch die Zielparameter werden auf intuitive Art und Weise veranschaulicht: Die Leser:innenzahlen werden in tausenden gemessen, während die Zufriedenheit der Interessensgruppen auf einem Tachometer dargestellt, welches die aktuelle Stimmungslage der jeweiligen Interessengruppe gegenüber der New York Times symbolisiert - werden systemkritische Nachrichten publiziert, so neigen sich die Zeiger der Tachometer der betreffenden Einflussgruppen in Richtung Unzufriedenheit. Nachdem Molleindustria das The New York Times Simulator kostenlos im Browser veröffentlicht hat, ist unverkennbar, dass keine wirtschaftlichen, sondern satirische wie edukative Absichten verfolgt werden. Ein verlinkter Twitter- und Blue Sky Account vernetzt das Spiel mit dem Entwickler; auf diesem Account mit etwa 5000 Followern werden gelegentlich News über weitere Spieleprojekte veröffentlicht - abgesehen davon widmet sich dieser Account politischem Content.


Fachliche Analyse

Ein zentrales Stilmittel von The New York Times Simulator ist die „prozedurale Rhetorik“ (Bogost 2007, 1-4), also die gezielte Verwendung spielmechanischer Regeln, um eine argumentative Aussage zu vermitteln. Die Spielenden sind gezwungen, ihre Berichterstattung an verschiedenen Interessensgruppen auszurichten – etwa wirtschaftlichen Eliten, staatlichen Institutionen oder der allgemeinen Leserschaft. Erfolgreiche Entscheidungen steigern die Leser:innenzahlen und das Ansehen der Zeitung, während kritische oder unpopuläre Berichterstattung zu negativen Konsequenzen führen kann. Dadurch wird spielerisch erfahrbar gemacht, dass journalistische Arbeit nicht ausschließlich von professionellen Standards objektiver Berichterstattung, sondern auch von ökonomischen und politischen Rahmenbedingungen geprägt ist. Historisches und politisches Hintergrundwissen ist für dieses Spiel grundsätzlich nicht vorausgesetzt, kann allerdings die Spielerfahrung enorm bereichern. Insbesondere Vorwissen in Bezug auf die aktuellen kriegerischen Konflikte im Gazastreifen erleichtern eine bewusste und reflektierte Auseinandersetzung mit den Spielinhalten. Wer bereits über Anknüpfungspunkte zur Thematik der politischen Dimensionen der Medienlandschaft verfügt, kann die satirischen und gesellschaftskritischen Elemente von The New York Times Simulator wesentlich differenzierter beurteilen. Dadurch wird es erst ermöglicht, die Mechanismen des Manufactured Consent (Klaehn 2002, 147 – 149) im Spiel zu identifizieren und die Spielinhalte in ihrem Gesellschaftspolitischen Kontext zu analysieren. Ohne solches Vorwissen besteht die Gefahr, dass die medien- und gesellschaftskritische Botschaft des Spiels ihre intendierte Wirkung verfehlt. Nicht zuletzt aus diesem Grund empfiehlt es sich, das Spiel umfassend zu kontextualisieren, um es im Unterricht nutzbar zu machen. 

Einen weiteren Grund, warum umfassende Didaktisierung notwendig erscheint, biete die Designentscheidung der Entwickler:innen, als eine der drei Einflussgruppen, deren Interessen es als Chefredakteur der New York Times zu wahren gilt, den Staat Israel zu nennen. Während bei den beiden anderen Einflussgruppen, nämlich The Rich und The Police, nur eine möglichst vage Darstellung als Gruppe ohne namentlicher Nennung von einzelnen Akteuren gewählt wurde, hat man sich hier dafü entschieden, diese Interessensgruppe nicht etwa "fremde Staaten" zu nennen, sondern Israel dezidiert namentlich zu nennen. Diese Entscheidung ergibt sich wohl aus der klaren politischen Agenda, die vom Studio Molleindustria verfolgt wird (Molleindustria XY). Was auf den ersten Blick wie legitime politische Satire erscheinen mag, könnte unter Anbetracht historischer Assoziationen dieser Thematik problematisch erscheinen: Bei der Annahme, eine jüdische Elite würde die Medien kontrollieren, handlet es sich um eine weit verbreitete Verschwörungstheorie der NS-Zeit. Aus fachdidaktischer Sicht kann man diesen Umstand aber auch positiv werten: The New York Times Simulator bietet somit die Gelegenheit, im Unterricht die Frage zu behandeln, ob die namentliche Nennung des Staates Israel als problematisch zu bewerten sei. So wird der implizit vermittelte politische Bias klar adressiert, während die Schüler:innen selbst bemächtigt werden, ihre eigenen Urteile zu fällen.  

Zusammenfassend bietet The New York Times Simulator eine innovative Möglichkeit, zentrale Probleme der modernen Medienlandschaft kritisch zu reflektieren, indem es gezielt jene Mechanismen journalistischer Berichterstattung in den Mittelpunk stellt, die zur Aufrechterhaltung bestehender Machtstrukturen beitragen. Gleichzeitig kann The New York Times Simulator auch selbst zum Objekt der Analyse werden, indem man den impliziten Bias des Spiels im Unterricht De-Konstruiert. Auf diese Weise kann nicht nur eine anregende Unterrichtseinheit zum Thema neutrale Berichterstattung und kritische Medienreflexion gestaltet werden, sondern gleichzeitig aufgezeigt werden, dass Spiele, wie alle anderen Medien auch, nicht pauschal als gut oder schlecht kategorisiert werden müssen, sondern dass es ebenso der Fall sein kann, dass gewisse Elemente positiv hervorzuheben sind, während andere einer kritischen Betrachtung bedürfen. 

Fachdidaktische Analyse

[Studentische] Auswertungen: Schüler:innenerfahrungen

Die Schüler:innendaten (lautes Spielen, Kommentare) werden durch die Studierenden analysiert und hier zusammengefasst.

Didaktisierungen

Didaktisierung1:


Nachweise

Bogost, Ian (2007): Persuasive Games. The Expressive Power of Videogame. Cambridge.

Klaehn, Jeffery (2020): A Critical Review and Assessment of Herman and Chomsky’s Propaganda Model. In: European Journal of Communication, 17/2002, S. 147–182.

Molleindustria (2024): Cover Art für The New York Times Simulator. In: The New York Times Simulator. Online unter: https://img.itch.zone/aW1nLzE1NTU2NzU4LnBuZw==/original/ZhzLIl.png (Zugriff: 28.03.2025).

Molleindustria (2024): The New York Times Simulator. Online unter: https://molleindustria.itch.io/the-new-york-times-simulator (Zugriff: 27.03.2025). 

The New York Times. About Us. In: The New York Times Company. Online: https://www.nytco.com/about-us/ (Zugriff: 6.10.2025). 

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