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Alexander Filipović: Angewandte Ethik. In:

Heesen, Jessica, Hrsg.Handbuch Medien- und Informationsethik. Stuttgart: J.B. Metzler Verlag, 2016. S.41 ff

Die Informations- und Medienethik wird üblicher Weise als eine angewandte Ethik verstanden. Eine solche Klassifizierung setzt dabei ein bestimmtes wissenschaftssystematisches Verständnis voraus: Was angewandte Ethik ist, wovon sich eine angewandte Ethik abgrenzt und was ihr Spezifikum ist, ist nicht von vorne herein klar und bedarf einer Diskussion. Die Klärung der Frage, wie die Informations- und Medienethik als angewandte Ethik verstanden werden kann, betrifft das Selbstverständnis der Informations- und Medienethik in entscheidender Weise. Insofern ist die angewandte Ethik und die wissenschaftliche Diskussion um ihre Methoden, Leistungen und Aufgaben ein bedeutender Kontext der Informations- und Medienethik.

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Für die Informations-, Kommunikations- und Medienethik besteht in einigen Hinsichten die besondere Herausforderung, ihren ethischen Zugriff überhaupt zu rechtfertigen. Wo sie besondere institutionelle Kontakte zu sozialwissenschaftlich-empirischen Wissenschaften hält, also etwa zu den Kommunikationswissenschaften, da hat sie es nicht immer leicht, ihren spezifisch ethisch-normativen Zugang deutlich zu machen (s. Kap. II.4). Natürlich kann man sich der Moral im Bereich Information, Kommunikation und Medien auch empirisch nähern. Eine solche empirische Ethik richtet sich in ihrer deskriptiven (beschreibenden) Variante auf das tatsächlich vorhandene Ethos mit dem Ziel einer Darstellung, und in ihrer ex-planatorischen (erklärenden) Variante auf die Herkunft und die Funktionen der tatsächlichen Moral mit dem Ziel einer Erklärung, wozu sie auf eine größere (Handlungs-, Gesellschafts-, ...-)Theorie angewiesen ist (vgl. Höffe 2007, 19). Diese Art und Weise der Beschäftigung mit dem Bereich der Moral herrscht in den Sozialwissenschaften, also auch in den Kommunikationswissenschaften vor. Moral wird hier als spezifische Normativität verstanden und beschrieben oder erklärt (vgl. Rath 2013). Das eigentliche Geschäft der angewandten Ethik ist aber mit dem oben beschriebenen normativen Erkenntnisinteresse beschrieben. Die Verwechselung von Moralempirie (im Bereich Medien) und Medienethik ist sicher ein Erbe positivistischer Verengungen der Sozialwissenschaften.

Aber auch für die Ethik gibt es Fallen: Beispielsweise kann man logisch zwingend nicht direkt von Seinsaussagen (»So ist es!«) auf Sollensaussagen (»So soll es sein!«) schließen. Auch wenn man eine normativ eher zurückhaltende Ethik vertritt, unterscheiden sich doch wahr/falsch-Urteile von gut/schlecht-Urteilen, was aber noch nichts über ihre Verbindung aussagt. Ebenso bedenklich ist die Falle des Moralismus, nach der eine Ethik in bloßen Sollensaussagen verbleibt und meint, alleine durch Begründung und Moralitätstests Handlungsregeln rechtfertigen zu können. Eine Ethik hat, wie betont wurde, vielmehr immer auch den Bezug auf die Erfahrung und die Wirklichkeit nötig (vgl. Höffe 2007, 38 f.). Die existierenden Entwürfe der Informations- und Medienethik versuchen auf unterschiedliche Weise, die methodische und theoretische Problemstellung der angewandten Ethik anzugehen, auch wenn sie selten Bezug nehmen auf die theoretisch-methodischen Diskurse der angewandten Ethik. Sie versuchen es mit einem Fokus auf den Verantwortungsbegriff, der von sich aus Pflichtethik mit Klugheitsethik verbindet (vgl. Funiok 2007), durch eine Unterscheidung einer Steuerungs- und einer Reflexionsfunktion der Medienethik (vgl. Debatin 1999) oder durch die Lokalisierung der Medienethik zwischen der Philosophie und den Kommunikations- und Medienwissenschaften (vgl. Rath 2013). Diese Informations- und Medienethiken verstehen sich als normativ arbeitende angewandte Ethiken. Das Verhältnis dieser Versionen zu eher deskriptiven (also normativ enthaltsamen) medien- und technik- philosophischen Entwürfen (vgl. Wiegerling 1998) oder medientheoretischen Beiträgen (vgl. Leschke
2001) gilt es überhaupt erst noch zu klären.


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