Die treue Community rund um Democracy 4 besteht aus einer kleinen, engagierten Nische politikaffiner Spieler:innen, die sich in Foren wie Steam oder Reddit über Strategien, Mods und reale politische Debatten austauschen und sich aktiv an der Diskussion um mögliche Erweiterungen und Verbesserungen des Spiels beteiligen. Die internationale Spieler:innenschaft ist dabei sehr heterogen, tendiert aber zu einem für Videospielcommunities relativ hohen Altersdurchschnitt (30+). Wirtschaftlich gilt Democracy 4 zwar nicht als Mainstream-taugliches, aber kommerziell solide-erfolgreiches Projekt, was sich unter anderem in der Bereitschaft der Entwickler:innen, das Spiel durch Erweiterungen (DLCs) in Berücksichtigung des Feedbacks der Community kontinuierlich zu aktualisieren, bemerkbar macht. Darüber hinaus hat Democracy 4 sowohl in Fachkreisen als auch in der breiten Öffentlichkeit große Aufmerksamkeit erregt. Politikwissenschaftler:innen nutzen es teilweise, um Governance-Prozesse zu veranschaulichen. Von Kritiker:innen wird das Spiel als hochkomplexe Simulation gelobt, andererseits existieren auch negative Perspektiven: Gewisse Aspekte des politischen Prozesses werden vereinfacht dargestellt oder ganz ausgeblendet, außerdem scheint das Spiel einen neoliberalen Bias aufzuweisen, der Strategien der freien Marktwirtschaft spielintern bevorteilt. Die regen Diskussionen zeigen jedenfalls, wie relevant und vielschichtig die Mechaniken und Themen von Democracy 4 sind. Als Spiel, das politische Prozesse erfahrbar macht, ohne sie allzu sehr zu vereinfachen, bietet es eine einzigartige Perspektive auf die Herausforderungen moderner Regierungsführung.
Fachliche Analyse
Allgemeine fachliche Analyse
Democracy 4 verspricht den Spieler:innen in die Rolle einer Regierungschef:in zu schlüpfen und einen Staat nach ihren eigenen Vorstellungen zu gestalten. Während zahlreiche reale politische Herausforderungen und Ideologien berücksichtigt werden, bleibt Democracy 4 letztlich ein spielerisches Modell und keine exakte Abbildung der realen Politik (Rappenglück 2023). Um die Spielbarkeit und Verständlichkeit zu gewährleisten, wird die Komplexität politischer Prozesse reduziert. Zum Beispiel sind Ursache-Wirkungs-Beziehungen vereinfacht. Politische Entscheidungen haben in Democracy 4 oft direkte, vorhersehbare Konsequenzen, während in der Realität unzählige Faktoren gleichzeitig wirken und bei jeder politischen Entscheidung unerwartete Nebenwirkungen auftreten können. Des Weiteren werden Prozesse rund um demokratische Parteien und damit auch die Notwendigkeit, Koalitionen zu bilden oder parteiinterne Auseinandersetzungen zu managen, weitestgehend ausgeblendet. Während in realen Demokratien Parteien und Fraktionen zentrale Rollen spielen, regieren die Spieler:innen in Democracy 4 de facto allein. Die:der Spieler:in trifft Entscheidungen über Gesetze und Richtlinien direkt per Mausklick, während politische Prozesse in der Realität oft langwierige Debatten, Abstimmungen und Lobbyarbeit erfordern. Weder werden das Parteiensystem noch die Parlamentsarbeit simuliert. Letztere wird durch Politpunkte ersetzt, die für die Durchsetzung an Gesetzen verwendet werden. Gewissermaßen werden die politischen Entscheidungen also 'gekauft'. Schlussendlich sind gesellschaftliche Dynamiken abstrahiert. Die Bevölkerung ist in klar definierte Gruppen wie „Liberale“, „Konservative“ oder „Umweltschützer“ unterteilt, wodurch die Vielschichtigkeit gesellschaftlicher Entwicklungen vereinfacht wird. Nichtsdestotrotz handelt es sich bei Democracy 4 um den wohl ambitioniertesten Versuch, politische Prozesse möglichst authentisch in Form eines Spiels erfahrbar zu machen. Entscheidend für die Wirksamkeit dieser Symbiose aus Spiel und Simulation ist sowohl die formale als auch die inhaltliche Ausgestaltung (Buddensiek 1995). Durch die Integration spielerischer Elemente entstehen auch Möglichkeiten für den didaktischen Gebrauch.
Neoliberaler Bias in Democracy 4 - eine kritische Analyse
Democracy 4 präsentiert sich vordergründig als neutrales Politiksimulationsspiel, welches Spieler:innen einen tiefen Einblick in demokratische Prozesse und politische Entscheidungsfindung ermöglichen soll. Doch wie die vorliegende Analyse zeigt, bevorteilt das Spiel durch seine prozeduralen Rhetoriken, Feedbackschleifen und ökonomischen Modelle systematisch neoliberale Strategien.
In Democracy 4 wird Demokratie primär als Management ökonomischer Kennzahlen inszeniert. Die regelmechanische Eigenlogik des Spiels in Bezug auf politische Inhalte fördert einen technokratischen Blick auf Demokratie, der komplexe soziale und ökonomische Zusammenhänge stark vereinfacht. Durch die algorithmischen Feedbackschleifen werden bestimmte politische Pfade als realistisch und andere als unrealistisch codiert. Das Spiel reduziert politische Entscheidungsfindung auf quantifizierbare Parameter und blendet qualitative Dimensionen weitgehend aus. Der Erfolg politischer Entscheidungen wird hauptsächlich anhand wirtschaftlicher Indikatoren wie BIP-Wachstum und Haushaltsbilanz gemessen, Sozialausgaben werden primär als Kostenfaktor dargestellt. Democracy 4 suggeriert jedoch durch seine scheinbar objektive Darstellung politischer Prozesse eine dokumentarische Qualität. Bemerkenswert ist hier vor allem, dass bestimmte politische Handlungen im Spiel von Grund auf nicht möglich sind, etwa eine grundlegende Transformation des Wirtschaftssystems oder die Implementierung nicht-marktorientierter Maßnahmen ohne massive negative Konsequenzen. Diese Begrenzung des politischen Möglichkeitsraums transportiert eine ideologische Botschaft: Es gibt keine Alternative zum neoliberalen Modell. Durch diesen Neoliberalen Bias trainiert Democracy 4 die Spieler:innen systematisch darin, politische Entscheidungen durch eine marktorientierte Linse zu betrachten. Selbst wenn Spieler:innen gegen den Strich spielen und alternative Politikansätze verfolgen, müssen sie dies innerhalb eines Systems tun, das bereits bestimmte Annahmen über Wirtschaft, Gesellschaft und Politik kodifiziert hat. Für die politische Bildung bedeutet dies, dass bei der Verwendung von Democracy 4 auf diesen Bias aufmerksam gemacht werden sollte. Eine reflektierte Verwendung würde bedeuten, das Spiel selbst zum Gegenstand kritischer Analyse zu machen und Lernende dazu anzuleiten, die durch das Spiel transportierten Annahmen zu analysieren. Etwa könnte man die Spielmechaniken mit alternativen politischen und ökonomischen Modellen kontrastieren und aufzeigen, wie das Spiel durch seine prozeduralen Rhetoriken bestimmte Weltbilder legitimiert.
Fachdidaktische Analyse
Politisches Vorwissen ist für den Erfolg in Democracy 4 nicht zwingend notwendig, aber es kann von Vorteil sein. Da das Spiel politische Mechanismen in einer überschaubaren Form darstellt, können auch Spieler:innen ohne tiefgehendes Sachwissen Entscheidungen treffen und durch Trial-and-Error lernen. Gleichzeitig profitieren Spieler:innen mit politischem Vorwissen davon, dass sie Wahrscheinlichkeiten und Zusammenhänge zwischen Maßnahmen und deren Effekten besser einschätzen können. Wer bereits über Kenntnisse über wirtschaftliche oder politische Prozesse verfügt, kann gezieltere Strategien entwickeln und langfristige Auswirkungen besser antizipieren. Aufgrund seines Sandbox-Charakters eignet sichDemocracy 4 für eine Vielzahl didaktischer Arrangements. Die Schüler:innen erfahren Politik nicht als einfachen Problem-Lösungs-Mechanismus, sondern müssen sich mit der Interdependenz unterschiedlicher Faktoren