- Angelegt von Schmutzer Jonas, zuletzt geändert am 30. Mär 2025
Enzyklopädische Einleitung
Kingdom Come: Deliverance ist ein Rollenspiel (RPG) in einer Open World (Spielwelt), welches mit einer gut umgesetzten, „authentischen“ Wiedergabe der Geschichte und der Architektur des spätmittelalterlichen Böhmens (15. Jahrhundert) wirbt.
Es wurde von Warhouse Studios entwickelt und im Jahr 2018 von Deep Silver veröffentlicht. Die behandelte Zeit (Start des Spiels 1403) war gekennzeichnet vom Machtkampf um die Erbfolge nach dem Tod König Karls IV. Die Spielenden schlüpfen in die Rolle des jungen Heinrich, Sohn eines Schmiedes im kleinen Dorf Skalitz. Nachdem das Heimatdorf Ziel eines Überfalls wurde, begibt sich Heinrich auf die Reise durch das mittelalterliche Böhmen und sucht seinen Platz in der Gesellschaft.
Kingdom Come: Deliverance zeichnet sich durch die Abwesenheit von Fantasyelementen und einer möglichst realitätsnahen Darstellung von verschiedenen Gesellschaftsschichten, Berufen, Kleidung und kämpferischen Spielmechaniken aus.
Medienleiste für Spielvorstellungen und erstes Kennenlernen
(Video extrem leise) |
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Allgemeine Spielanalyse
Kingdom Come: Deliverance bietet als „Mittelalter-Simulator” eine weitreichende Open World, die mit den zahlreichen Facetten des mittelalterlichen Alltags und den Sorgen und Freuden der damaligen Gesellschaft bestückt ist. Der Hauptcharakter Heinrich findet sich inmitten der Streitigkeiten zwischen König Wenzel IV. und dessen Halbbruder Sigismund um das Erbe deren Vaters, Karl IV., wieder. Nachdem sein Heimatdorf einem Überfall zum Opfer wird, begibt sich Heinrich auf einen Pfad der Rache, indem er sich als einfacher Sohn eines Schmiedes zum tapferen Krieger und Diplomaten hocharbeiten möchte. Das Spiel lässt den Spielenden dabei aus mehreren Entscheidungsmöglichkeiten auswählen, was wiederum verschiedene Lösungswege für Heinrichs Aufgaben ermöglicht und den Spieler:innen eine gewisse Handlungsfreiheit gibt. Entscheidungen beeinflussen dabei nicht nur die Lösungswege, sondern können auch unvorhergesehene Resultate und Konsequenzen mit sich ziehen.
Eindrucksvoll ist auch, dass die Geschichte des Protagonisten zwar rein fiktional ist, die Rahmenhandlung jedoch auf historischen Gegebenheiten basiert. So sind manche Personen des Spiels reale Charaktere der böhmischen Geschichte. Auch Nachbildungen verschiedenster Ortschaften und markanter Gebäude wurden auf Basis von Aufzeichnungen und stellenweise sogar Ruinen rekonstruiert (Cook 2024, 28).
Die Hauptmechaniken des Spiels setzen sich aus einer realistischen Form des Schwertkampfes, Bogenschießens, des Erlangens und Instandhaltens von Ausstattung, einem ausgefeiltes Handwerkssystem und der bereits erwähnten Entscheidungspfade über das Dialogsystem zusammen. Im Gegensatz zu anderen Spielen mit vergleichbaren Settings (wie The Witcher 3) verzichtet Kingdom Come: Deliverance bereitwillig auf übernatürliche Elemente zugunsten der historischen Genauigkeit. Das Questsystem ist darauf ausgelegt, die gerade genannten Spielmechaniken sinnvoll ins Geschehen einzubinden und durch die Interaktionen mit NPCs (nicht spielbare Charaktere) ein Gefühl des „Dabei-seins“ zu ermöglichen.
Die Graphik orientiert sich dabei sehr am Realismus mit detaillierter Darstellung von Landschaften, Städten und Kleidung. Für die Immersion in die Vergangenheit unterstützend wirken auch die Musikstücke, welche die Spielenden, je nach Ort und Event, zu hören bekommen. Auch Umgebungsgeräusche, wie Marktgeschrei oder Klatsch und Tratsch unter den NPCs, tragen maßgeblich für die authentische Atmosphäre bei.
Gefeiert und kritisiert zugleich ist das Steuerungssystem von Kingdom Come: Deliverance. Durch seine Komplexität und notwendige, steile Lernkurve machte sich das Spiel unter den Spieler:innen nicht ausschließlich Fans. Der Kampf mit dem Schwert gibt Hieb- und Stichrichtungen vor. Ebenso verhält es sich mit dem Parieren von gegnerischen Angriffen. Des Weiteren existiert ein Rufsystem, welches durch die Entscheidungen bei sozialen Interaktionen beeinflusst wird. Die Spieler:innen verbessern durch ihre Handlungen unterschiedliche Attribute wie Redekunst und Vitalität.
Besonders positiv hervorheben lassen sich die Kodexseiten im Menü. Diese enthalten zusätzliche Informationen und Erklärungen der vorkommenden Charaktere, Berufe, Orte und der Geschichte. Die Community rund um das Spiel diskutiert in diversen Foren gerne über historische Genauigkeit und verschiedenste Varianten der Spielweise. Auch werden Aspekte des Spiels kritisiert oder verteidigt. Gerade aktuell (März 2025), durch die Fortsetzung des Spiels (Kingdom Come: Deliverance 2) ,wird wieder viel debattiert, da der Hype auch Auswirkungen auf den Vorgänger des Jahres 2018 zu haben scheint.
Das Spiel selbst ist aufgrund der Komplexität und der Altersbeschränkung für Erwachsene mit hohem Interesse an realistischen, geschichtlichen Simulationen ausgerichtet. Insbesondere der Beginn des Spiels bis zum Überfall eignet sich auch für jüngere Spieler:innen.
Schlussendlich löste das Spiel einen regen Diskurs über die Eignung des Mediums zur Vermittlung ‚authentischer‘ Geschichtsbilder und der Genauigkeit solcher Darstellungen mittelalterlicher Gesellschaften an.
Fachliche Analyse
Kingdom Come: Deliverance bietet den Spieler:innen ein möglichst authentisches Erlebnis und stellt ein herausragendes geschichtskulturelles Produkt dar, das zur Vermittlung von Geschichtsbildern und deren Erweiterung herangezogen werden kann. Dennoch darf nicht außer Acht gelassen werden, dass wirtschaftlicher Erfolg nicht immer in Einklang mit faktischer Historizität steht. Ein besonders einflussreiches Konzept zur Beschreibung solcher Phänomena bietet jenes der affektiven Historizität. Diese beschreibt, dass Spieler:innen dazu tendieren, Spiele aufgrund sensorischer Eindrücke und weniger aufgrund faktisch korrekt umgesetzten Darstellungen als authentisch und historisch korrekt wahrnehmen (Rollinger 2017, 312).
Neben der beanspruchten Authentizität nutzt Kingdom Come: Deliverance auch die emotionale Story des Protagonisten, um, bei aller Liebe zum Detail, auch das Spielerlebnis bezüglich der Spannung und dem Interesse am Einzelschicksal des von den Spieler:innen gesteuerten Charakters anregend zu gestalten. Die Darstellung des Mittelalters reproduziert gewisse vorherrschenden Geschichtsmythen der Epoche, um keinen Bruch mit den Erwartungen der Konsument:innen zu riskieren. Dabei gerieten die Entwickler jedoch auch ins Zentrum von Kritik, da der leitende Entwickler mit seinen Aussagen über die absichtliche Absenz von People of Colour und fragwürdigen politischen Statements auffiel.
Felix Zimmermann (2023, 91) beschreibt den Wunsch nach Authentizität der Konsument:innen geschichtskultureller Produkte als Reaktion auf Unsicherheit und Zukunftsängste des konsumierenden Individuums. Genau aus diesen Gefühlen heraus bestünde ein gesteigertes Interesse an diversen Formen von emotionalisierenden und erlebnisorientierten Geschichtsangeboten. Schlussendlich argumentiert er, dass es des Begriffs der „Vergangenheitsatmosphäre“ bedarf, um beschreiben zu können, wie es (unter anderem) digitalen Spielen gelingt, Authentizitätsbedürfnisse zu befriedigen und wie das Gefühl von Authentizität hervorgerufen werden kann.
Der Authentizitätsbegriff selbst entzieht sich dabei einer genauen Definition und muss, um ein genaueres Verständnis dafür zu erlangen, als ein vielschichtiger Begriff betrachtet werden. Aus der Begriffsgeschichte geht der Eindruck hervor, dass Authentizität durch die Jahrhunderte hindurch keine einheitliche Definition besaß. Etwas Authentisches war demnach etwas, das von einer befugten Instanz autorisiert worden war. Im deutschsprachigen Raum wurde das Wort „authentisch“ primär als Synonym für „anerkannt“ genutzt. Die dementsprechende Verwendung des Begriffs Authentizität hingegen begann erst mit dem 18. Jahrhundert. Seither fand der Begriff auch in der Geschichtswissenschaft Anklang und wurde verwendet, um verifizierte Quellen zu kennzeichnen und somit einen stärkeren Bezug zum Objekt herzustellen. Im Laufe der folgenden Jahrhunderte erlangt Authentizität zusätzlich eine ästhetische Bedeutung, was maßgeblich zur heutigen komplexen Bedeutung und Schwierigkeit der Definitionsfindung beiträgt. Durch den starken Fokus auf das „echte“, „naturbelassene“, „unverfälschte“ im Zuge der Aufklärung und Frühromantik gelangt auch die originelle, wahre Art und Weise des Menschen in die als „authentisch“ beschreibbaren Kategorien. Somit fand ein erheblicher Wechsel statt. Dadurch konnte nun neben Schriften und Urkunden auch das subjektive Erleben als authentisch bezeichnet werden. Eine Trennung des Begriffs im Sinne von materieller und subjektiver, erfahrungsbezogener Authentizität ist unumgänglich (Pirker/Rüdiger 2010, 13).
Diese Trennung erfolgt basierend auf Knallers (2006, 12) Unterscheidung zwischen Objekt- und Subjektauthentizität. Die Objektauthentizität umfasst hierbei den Grad der Genauigkeit der historischen Darstellung, während die Subjektauthentizität nicht als Wahrnehmung, sondern vielmehr als „Treue zu sich selbst“ verstanden werden muss. Als dritte Kategorie des Authentizitätsbegriffes ist das Authentizitätsgefühl anzuführen.
Zimmermann führt Authentizität als Krisenbegriff der Spätmoderne an und erläutert, dass sich Authentizitätsgefühle der „kulturkritischen Entfremdungserzählung“ fügen. Das Bedürfnis nach Authentizität beschreibt die Reaktion auf diese Entfremdung, denn sie befriedigt die Suche nach Echtheit, vor allem bei geschichtlichen Erlebnisangeboten. Um ein Gefühl der Authentizität hervorrufen zu können bedarf es einer adäquaten Atmosphäre des digitalen Spiels (oder anderen Produkten). Für den Erfolg eines solchen Produktes ist die Tiefe der Immersion in die Vergangenheit ausschlaggebend. Wie die Erkenntnisse aus der Literatur zeigen, suchen viele Konsument:innen geschichtlicher Medien und Erlebnisangebote Authentizität, um ihre Bedürfnisse nach Echtheit zu befriedigen, wobei das „Echte“ dabei keine objektive Darstellung der Vergangenheit, oder keine Originalquelle sein muss. Relevant für die Kategorisierung als authentisch oder unauthentisch ist das Authentizitätsgefühl, das vermittelt werden soll. Selbstredend geschieht dies auf höchst subjektiver Ebene und kann nicht verallgemeinernd festgesetzt werden (Zimmermann 2023, 120–123).
Auf das Spiel bezogen bedeutet dies, dass die Entwickler außergewöhnlich gute Arbeit geleistet haben, diese Erwartungen und Bedürfnisse bei den Konsument:innen zu erfüllen, beziehungsweise zu befriedigen. Selbstverständlich konnten nicht alle Spielmechaniken realitätsgetreu gestaltet werden, um ein angenehmes Spielerlebnis garantieren zu können. Als Beispiel wird das Inventar angeführt, in welchen man mehrere hunderte Kilo an Ausrüstung herumtragen kann. In Summe betrachtet überwiegen jedoch die gut umgesetzten und realitätstnahen Aspekte des Spiels. Kingdom Come: Deliverance trägt das Potential, die Geschichtsbilder seiner Spieler:innen zu beeinflussen. Die immersive Spielwelt und emotional ansprechende Story lassen Spielende die Geschichte des mittelalterlichen Böhmens überzeugend nacherleben.
Fachdidaktische Analyse
[Studentische] Auswertungen: Schüler:innenerfahrungen
Didaktisierungen
Dieser Beitrag richtig sich an alle, die an geschichtskulturellen Darstellungen des (böhmischen) Mittelalters interessiert sind. Das Spiel Kingdom Come: Deliverance ist für seinen hohen Authentizitätsanspruch und der realitätstreuen Umsetzung der Spielwelt mehrfach preisgekrönt worden. Die Aufgabe dieses Beitrags befasst sich mit der Analyse der Charakterdarstellungen soll die historische De- und Rekonstruierungsfähigkeit (Methodenkompetenz) von Schüler:innen ab der 10. Schulstufe beanspruchen.
Nachweise
Cook, James (2024): Kingdom Come: Deliverance and the Aesthetics of Authenticity. In: Journal of Sound and Music in Games, 05(2)/2024, S. 22 – 48.
Hellmuth, Thomas/Kühbauer, Christian (2016a): Kommentar zum Lehrplan der Neuen Mittelschule und der AHS-Unterstufe „Geschichte und Sozialkunde/Politische Bildung“. Wien. Online unter: https://www.politik-lernen.at/dl/NqssJKJKonmomJqx4OJK/GSKPB_Sek_I_2016_Kommentar_zum_Lehrplan_Stand_26_09_2016.pdf (Zugriff: 30.03.2025).
Hellmuth, Thomas/Kühbauer, Christian (2016b): Historisches und Politisches Lernen mit Konzepten. In: Verein für Geschichte und Sozialkunde, 46/2016, S. 3 - 8.
Knaller, Susanne (2006): Genealogie des ästhetischen Authentizitätsbegriffs. In: Knaller, Susanne/Müller, Harro (Hg.): Authentizität: Diskussion eines ästhetischen Begriffs. München, S. 17 – 35.
Mikuláš Podprocký (2018): Cover Art für Kingdom Come Deliverance. In: Steam. Online unter: https://shared.cloudflare.steamstatic.com/store_item_assets/steam/apps/379430/header.jpg?t=1741619061 (Zugriff: 28.03.2025).
Pirker, Eva Ulrike/Rüdiger, Mark/Klein, Christa/Leiendecker, Thorsten/Oesterle, Carolyn/Sénécheau, Miriam/Uike-Bormann, Michiko (2015): Echte Geschichte. Authentizitätsfiktionen in populären Geschichtskulturen. Bielefeld.
Rechtsinformationssystem des Bundes (2025): Bundesrecht konsolidiert: Gesamte Rechtsvorschrift für Lehrpläne – allgemeinbildende höhere Schulen. Online unter https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10008568 (Zugriff: 03.2025).
Rollinger, Christian (2017): Phantasmagorien des Krieges: Authentizitätsstrategien, affektive Historizität und der antike Krieg im modernen Computerspiel. In: Thersites. Journal for Transcultural Presences & Diachronic Identities from Antiquity to Date, 4/2016, S. 311 – 341.
Warhorse Studios (2018): Kingdom Come: Deliverance. Prag.
Warhorse Studios: Kingdomcomerpg.com. Online unter: https://kingdomcomerpg.com/ag?referer=%2F (Zugriff: 28.03.2025).
Writing Bull (2017): Erster Eindruck: Kingdom Come Deliverance | Entwickler-Interview [deutsch]. In: Youtube. Online unter: https://youtu.be/bvcikRyZnQw (Zugriff: 30.03.2025).
Zimmermann, Felix (2023). Virtuelle Wirklichkeiten. Atmosphärisches Vergangenheitserleben im Digitalen Spiel. Marburg.
Kingdom Come: Deliverance | |
Cover | |
Entwickler | Warhorse Studios |
Publisher | Deep Silver |
Genre | Open-World-Rollenspiel (RPG) |
Art des Spiels | kostenpflichtig, kommerziell |
Erscheinungsjahr | 2018 |
Altersfreigabe | USK 16, PEGI 18 |
Thema | Spätmittelalter, böhmische Geschichte, Hussitenkriege |
Plattformen | PC, PlayStation 4, PlayStation 5, Xbox One, Xbox Series X/S, Nintendo Switch |
Sprache(n) | Englisch, Deutsch, Französisch, Tschechisch, Italienisch, Spanisch u. a. |
Spieldauer | 50-100 Stunden (je nach Spielstil) |
Link zur Website |
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Kommentar
Niku Dorostkar sagt:
Nicht nur die Allgemeine Spielanalyse, sondern auch die Fachanalyse weist bewertende Aussagen ähnlich einer Rezension auf, z.B. "bietet ... ein möglichst authentisches Erlebnis und stellt ein herausragendes geschichtskulturelles Produkt dar".