Exzerpt aus: Grunwald, Armin, Hrsg.Handbuch Technikethik. Stuttgart: Verlag J.B. Metzler, 2013. S. 13-17 (passim)


Zum Begriff

Der Technikbegriff geht auf die aristotelische Unterscheidung von ›natürlich‹ und ›künstlich‹ zurück. Während das Natürliche den Grund seines Entstehens und Werdens in sich selbst trägt, also ›Gewordenes‹ ist, bezeichnet techne das künstlich vom Menschen im Rahmen herstellender Tätigkeit (poiesis) Hervorgebrachte ... Damit wurde der Begriff der Technik in die Sphäre menschlicher Kultur gestellt. Wenn gelegentlich Honigwaben oder Termitenbauten als technische Erzeugnisse der betreffenden Spezies dargestellt werden, handelt es sich bloß um eine metaphorische Redeweise. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts wurden in der Philosophie verschiedene, teils sich ergänzende, teils konkurrierende Technikbegriffe entwickelt ... . Techniksoziologie und Technikwissenschaften verwenden eigene und selbst oft kontroverse Technikbegriffe. Ein philosophisch und wissenschaftlich durchgehend anerkannter Technikbegriff liegt nicht vor. Auch die Technikethik verwendet keinen einheitlichen Technikbegriff, sondern verfährt in der Regel pragmatisch, indem sie an vorfindliche Sprachgebräuche anschließt. In modernen Begriffsbestimmungen, so generell auch in der Technikethik, wird Technik in der Regel nicht als von der Gesellschaft isoliert, sondern in sie eingebettet gefasst. Unter ›Technik‹ werden dann technische Artefakte einschließlich der Handlungskomplexe der Technikentwicklung und -herstellung (poiesis), der Nutzung und der Entfernung aus dem Verwendungszusammenhang (z. B. Rezyklierung oder Deponierung) verstanden.


In den meisten Bestimmungsversuchen ist eine zentrale Dualität festzustellen: als ›Technik‹ werden zum einen hergestellte Artefakte wie Maschinen, Werkzeuge und Infrastrukturen verstanden, zum anderen aber auch geregelte Verfahren wie chirurgische Operationstechnik, mathematische Beweistechnik oder auch Techniken des Musizierens oder der Meditation. Das Wort ›Technologie‹ wird häufig verwendet, um wissenschaftlich hervorgebrachte oder besonders komplexe Techniken zu bezeichnen, aber auch um Technikbereiche übergreifend zusammenzufassen. Der englische Sprachgebrauch unterscheidet technology als Oberbegriff für ingenieurmäßige und wissenschaftliche Technik von techniques zur Bezeichnung von geregelten Verfahren.


Technik als Reflexionsbegriff

Der konstitutive Charakter des ›Gemacht-Seins‹ von Technik stellt einen unmittelbaren Bezug zwischen Technikbegriff und der Zweck-Mittel-Rationalität her. In der klassischen handlungstheoretischen Deutung dienen Techniken, sowohl geregelte Verfahren als auch Artefakte wie Werkzeuge oder Maschinen, zu außerhalb ihrer selbst liegenden Zwecken. In dieser Sicht stellt Technik das »System der Mittel« dar ... Effektivität, also die Aussicht darauf, die intendierten Zwecke durch den Einsatz der jeweiligen Technik zu erfüllen, und Effizienz, also ein günstiges Verhältnis der eingesetzten Mittel (z. B. Geld, aber auch Materialien) zur Zweckerreichung, sind in diesem Mittelverständnis von Technik die wesentlichen Kriterien, wenn eine Entscheidung zwischen mehreren Techniken zur Erreichung der Zwecke zu treffen ist. Kosten-Nutzen-Analysen prägen diese Sicht auf Technik. Technikbewertung und Technikfolgenabschätzung ... haben darüber hinaus Technik und ihre Folgen in einen größeren gesellschaftlichen und ethischen Zusammenhang gestellt; andererseits haben sie die nicht intendierten Folgen der Entwicklung und des Einsatzes von Technik systematisch in den Blick genommen.

Technik geht handlungstheoretisch jedoch nicht in ihrem Mittelcharakter auf. Denn der Mittelbegriff weist in sich eine reflexive Komponente auf: »Für sich gesehen sind Gegenstände oder Ereignisse keine Mittel« (Hubig 2002, 10 f.). Der Mittelcharakter erschließt sich nur reflexiv aus dem Kontext als Bestandteil einer Zweck-Mittel-Relation, die Interpretationen und ggf. auch Umdeutungen ausgesetzt ist. Nicht nur wird neue Technik als Mittel zu vorab festgelegten Zwecken hergestellt, sondern es werden zu vorhandenen Techniken auch neue Zwecke erfunden, und es kommt zu Zweckumwidmungen. So wie es verschiedene Mittel zu dem gleichen Zweck geben kann, kann der gleiche technische Gegenstand Mittel zu unterschiedlichen Zwecken sein. Die handlungstheoretische Struktur des Technikbegriffs ist daher viel reicher als es das einfache Zweck-Mittel-Bild suggeriert. Technikentwicklung und -einsatzweisen grundsätzlich über die ursprünglich intendierten Zweck-Mittel-Relationen hinaus und bergen vielfach sogar ein Überraschungspotential.

Daher ist eine ontologische Einteilung der Welt in technische und nichttechnische Einheiten nicht möglich. Stattdessen kann etwas als Technik oder als etwas anderes thematisiert werden, und in diesen Thematisierungen kommt es zu Zuschreibungen des Attributs ›technisch‹ .... An den Gegenständen oder Verfahren wird »das Technische« durch die Identifikation von Zweck-Mittel-Zusammenhängen bestimmt. Diese als Technik bestimmten Gegenstände und Verfahren ist dann Technik »zu etwas«. In einem anderen Kontext kann der betreffende Gegenstand z. B. nicht als Technik, sondern als Kunstwerk, als persönliches Andenken oder als Ware thematisiert werden. Daher ist der Technikbegriff kein Sammelbegriff über einzelne Techniken, sondern stellt einen Reflexionsbegriff dar .... Die Reflexion kann auf verschiedene Weise erfolgen: als Differenzbestimmung durch unterscheidende Abgrenzung der Technik von Nichttechnik, als Funktionsdeutung durch Angabe von (z. B. anthropologischen) Funktionen der Technik, durch Bestimmung ihres Ortes in Handlungskontexten und Kulturen und durch den Bezug auf Reproduzierbarkeit und Regelhaftigkeit.

Differenzbestimmungen

Eine klassische differentia specifica ist die bereits erwähnte, auf Aristoteles zurückgehende Unterscheidung zwischen technisch (künstlich) und natürlich. Sie reflektiert das Gemachtsein des Technischen im Unterschied zum Gewordensein des Natürlichen. Dabei kann z. B. auch nach der Rolle des Gewordenen (z. B. natürlicher Ressourcen) im technisch Gemachten gefragt werden. ... Innerhalb des Bereichs der Artefakte wird häufig eine Unterscheidung zwischen dem instrumentellen (Werkzeug-)Charakter von Technik und dem Selbstzweckcharakter der Kunst vorgenommen. Eine Waschmaschine und ein Bronzeguss von Ernst Barlach sind beide Artefakte, werden jedoch üblicherweise in Kunst und Technik unterschieden. Kunstwerke sind zwar Artefakte, dienen jedoch der ästhetischen Anschauung und nicht dem instrumentellen Einsatz für ihnen selbst äußere Zwecke. Gleichwohl zeigt sich der Technikbegriff als Reflexionsbegriff auch hier, denn diese Zuschreibungen sind nicht ontologisch an den beiden Gegenständen festzumachen: die Bronzestatue kann durchaus als technisches Gerät verwendet werden, z. B. um einen Einbrecher niederzuschlagen, und die Waschmaschine könnte ein Element in einer modernen Kunst-Installation sein.

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Technik als Reflexion auf Regelhaftigkeit

Technische Artefakte und Verfahren einschließlich der daran anschließenden menschlichen Handlungsweisen sind durch ein hohes Maß an Regelhaftigkeit und Reproduzierbarkeit geprägt. Regelhaftigkeit ist ein zentrales Merkmal des Technischen. Technische Regeln prägen Entwicklung und Herstellung von Technik und sind zentrales Element der Wissensweitergabe in Technikwissenschaften und Handwerk. Regeln prägen aber auch den Gebrauch von Technik, z. B. durch Bedienungsanleitungen oder aus der Erfahrung im Umgang mit konkreten Artefakten heraus. Diese Regeln sind mehr oder weniger kontextabhängig. Der Grad der Universalität der Regeln des technischen Funktionierens sagt etwas aus über Situationsinvarianz oder Kontextabhängigkeit entsprechender Zweck-Mittel-Relationen. Technische Regeln und die Regeln des Gebrauchs von Technik sind gültig in je einem Geltungsbereich. Entsprechend kann der Technikbegriff als Reflexionsbegriff auf die Reichweite dieses Geltungsbereichs verstanden werden, wobei das ›Ideal des Technischen‹ auf der Seite maximaler Invarianz liegt .... In diesem Sinne nimmt die Unterscheidung des Technischen vom Nicht-Technischen den Bogen vom historisch-singulären Einmaligen (nichttechnischen) bis zum beliebig oft und streng Reproduzierbaren in den Blick und fragt nach der Position eines gerade betrachteten spezifischen Handlungskontextes in diesem Kontinuum.

Diese Deutung des Technikbegriffs ermöglicht es, den Blick weit über die ›Ingenieurtechnik‹ hinaus auf die Funktionen und Ambivalenzen ›des Technischen‹ in Kultur und Gesellschaft zu richten. Die Wiederholbarkeit von Handlungsschemata, z. B. in Verfahren, und das Reproduzieren von Zuständen sind unzweifelhaft ein Element technischer Artefakte, in Herstellung, Nutzung und Entsorgung. Regelhaftigkeiten sind jedoch auch in sozialen Kontexten etabliert. Institutionen stellen geregelte Handlungszusammenhänge dar, die Verlässlichkeit und Erwartungssicherheit erzeugen. Insofern die Reflexion auf das Technische in Handlungen und Entscheidungen auf Regelhaftigkeiten bezogen wird, thematisiert sie Verlässlichkeiten, Berechenbarkeiten und Erwartungssicherheiten als Grundlagen kooperativen Handelns .... Regeln des Handelns, sei dies im Zusammenhang mit ingenieurhafter Technik oder in Form regelgeleiteter Institutionen, entlasten davon, ständig in jeder Situation von Grund auf neu über Handlungsmöglichkeiten, Handlungsnotwendigkeiten und Handlungsrationalität nachdenken zu müssen.












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