Sagen wir, wovon wir sprechen. Geschlechternormen haben Gemeinsamkeiten mit jenen Normen, die in Coronazeiten plötzlich wichtig geworden sind. Beides sind Normen, die regulierend auf die Körper einwirken. Und auch Coronanormen treffen auf Widerstand. Doch die Ähnlichkeiten enden bald. Corona-Normen werden explizit und ad hoc erlassen. Sie werden in bisweilen sehr kurzen Abständen erfunden, auch wieder aufgegeben. Es sind hastige Normen, die in einer seltsam stillstehenden Zeit hineinschneiden in eine Form von Alltag, die die Welt so bisher nicht erlebt hat.

Die Hast könnte damit zu tun haben, dass Corona auf andere Weise mit Lust und Unlust verknüpft ist als ein Geschlecht. Corona ist unlustiger, ließe sich in einer ersten Annäherung sagen. Die Normalität des Lustgewinns unter Einbeziehung körperlicher Vollzüge wie Essen, Atmen, Riechen und Berühren wird durch ein Virus und die gegen die Ausbreitung dieses Virus erlassenen neuen Normen empfindlich gestört. Das Berührungsverbot richtet sich nicht nur auf das Virus. Das konkrete Berührungsverbot droht Beziehungen zu zersägen. Das konkrete Berührungsverbot trifft alle Menschen an einer empfindlichen Stelle. Denn alltägliche Normalität ist ohne Berührung nicht denkbar.

Der Todestrieb geht um. Die Eingriffe durch neue Normen werden vor dem Hintergrund solch körpernaher Regulierungen als besonders einschneidend, ja gewaltsam erlebt. Nicht nur der Einschnitt der Normen allein, sondern auch der Kontext einer ubiquitären (und in ihrem Ausmaß bis jetzt nicht fassbaren, jedoch unabweisbar tödlichen) Gefahr trägt dazu bei. Manche Bürger*innen sehen dabei vor allem die normierenden Vorschriften, fassen sich in vermeintlich notwendiger Gegenwehr als Opfer einer irrationalen Gewalt auf. Staatliche Gewalt bekommt verfolgende Qualitäten. Autorität erscheint plötzlich nur noch autoritär.

Was dabei weniger gesehen wird, ist die verletzende Seite des Virus. Das Virus tendiert (statistisch betrachtet) normalerweise zur Vermehrung, die ihrerseits zur Gefahr für Leib und Leben der menschlichen Wirte werden kann. Der Diskurs über Normen und Normalität trifft hier auf den Diskurs über Vulnerabilität. Menschen (Tiere und andere Lebewesen) sind potentiell vulnerabel. Das Virus ist potentiell verletzend. Und das Coronavirus ist und bleibt ein Akteur auch dort, wo Theorien über das Virus konstruiert werden, alte (gut begründete, geschätzte und gewohnte) Normalitäten außer Kraft gesetzt werden. Die neuen Ordnungen der Berührung, die neuen juridisch verankerten und durchaus flüchtigen Normalitäten schaffen und orientieren sich gleichzeitig an Ordnungen der Vulnerabilität. Alte Körper, versehrte Körper, systemrelevante Körper, immunsupprimierte Körper, schwangere Körper – viele unterschiedliche Körper werden systematisch und normierend hinsichtlich ihrer Verletzbarkeit eingeordnet. Das ist ein Prozess, kein Ergebnis. Es ist ein dauerndes Neuordnen, Neunormalisieren.

Dieser Normalisierungsprozess richtet sich gegen die Illusion einer Invulnerabilität.

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