DIE CHANTEN



Die Chanten sind ein kleinzähliges finnougrisches Urvolk. Sie zählen als eines von zwei Völkern zu den obugrischen Völkern. Sie sind die nächsten Verwandten der Mansen und Ungarn.

1572 wurden sie zum ersten Mal erwähnt und seitdem bis Anfang des 20. Jahrhunderts wurden die Chanten von den Russen als „Ostjaki" (Ostjaken) bezeichnet.

Ihr Name „Chanty" (Chanten), wie sie sich selbst bezeichneten, bedeutet eigentlich „Mensch".
Die Bezeichnung als Chanten wurde 1930 offiziell anerkannt.

Die Chanten zählen ca. 28 600 Personen.
Fast 60 % von ihnen leben im Autonomen Kreis der Chanten und Mansen, 30,5 % im Autonomen Kreis der Jamal-Nenzen. Eine kleine Anzahl der Chanten lebt im Gebiet Tomsk und in der Republik Komi. (2) (3)

#Abb. 1 Flagge der Chanten und Mansen

Inhaltsverzeichnis


Geschichte


Die ethnische Geschichte der Chanten ist, wie Archäologen bestätigen, recht kompliziert. Die archäologischen Funde zeugen vom Vorhandensein verschiedenster ethnischer Elemente. Die nördlichen Chanten standen ab Mitte des 2. Jahrtausends unserer Zeitrechnung unter einem starken Einfluss der Rentierzuchtkultur der Nenzen. Die südlichen Chanten siedelten sich vom Mündungsgebiet des Irtysch nach Norden hin an. Bei ihnen spielte der Einfluss der südlichen Waldsteppen-Bevölkerung eine bedeutende Rolle. Einen wesentlichen Einfluss auf die südlichen Chanten übten auch die Türken und später die Russen aus. Die östlichen Chanten siedeln am Mittellauf des Ob. Diese Gruppe übernahm in größerem Umfang als die anderen die nordsibirischen Züge der Kultur, wie sie der Bevölkerung des Urals eigen ist.

Während des ersten Jahrtausends verließen die Vorfahren der Obugrier (Chanten und Mansen) die Region bei den Flüssen Petschora und Wytschegda und überquerte das Ural-Gebirge und erreichten das Ufer des unteren Ob im Nordwesten Sibiriens.
Es wird davon ausgegangen, dass die Chanten und Mansen sich während des 13. Jahrhunderts trennten und die Chanten nach Osten zogen.

Die Trennung der ugrischen Völker und wurde durch die militärischen Interessen der Russen und Tataren an diesen Gebieten und ihren natürlichen Ressourcen beschleunigt.
Aufzeichnungen aus dem Jahr 1265 zeigen, dass Jugra, das Land der ugrischen Völker, von Novgorod anerkannt war.
Es folgten Feldzüge von Novgorod (zum Beispiel jene in der chronicls von 1323, 1329, 1364 erwähnt) und später von den Moskauern.
Ein strengerer Feldzug durch die Russen erfolgte im Jahr 1483 mit dem sie ihren territorialen Einfluss noch weiter ausbauten. Im Jahr 1499 verlangte Ivan III die unbedingte Anerkennung der Moskauer Vorherrschaft.

Obwohl sich die Chanten nach Osten zurückzogen und dabei wenig Widerstand leisteten, waren sie immer noch nicht allein.
Sie mussten sowohl Steuern für die Russen als auch für die Tataren zahlen, da sich der Khan der Tartaren Kuchum im Jahre 1563 selbst zum Kaiser von Sibirien erklärte.
Die Chanten lebten und kämpften unter der Führung ihrer Ältesten (obwohl sie sich eher zurückzogen als zu bekämpfen).

Als die Russen die Tataren 1582 besiegten begannen sie nun auch ihre Macht über die Chanten zu stärken. Eine Reihe von Festungen wurden in dem Gebiet gebaut: Tyumen 1585, Tobolsk 1587, Surgut 1593, Obdorsk (später Salechard) 1595, und andere.
Den Chanten-Ältesten gelang es, ihre Position zu halten und sie fingen an Tribute von ihren Untergebenen einzusammeln.
Die Christianisierung wurde Schrittweise begonnen und fortgesetzt. Die Chanten sind offiziell seit 1715 Christen. Dennoch haben sich Schamanismus und Animismus bis heute gehalten.
Die Chanten wurden auch wirtschaftlich unterworfen. Die räuberische Politik der russischen Kaufleuten und Beamten war so effizient, dass bis zum Ende des 19. Jahrhunderts die Chanten, durch wirtschaftliche Schwierigkeiten bedrängt und gebrochen in die Nähe von Ruine zogen. Die Siedler hatten ihre besten Ländereien sowie ihr Einkommen beschlagnahmt und hatten entlang gefährliche Krankheiten und destruktiven Gewohnheiten (Alkohol als der größte Fluch) in den Alltag der Chanten gebracht. Es wurde allgemein angenommen, dass die Chanten nicht mehr länger als ein paar Jahrzehnte überleben würden.

Die Ankunft der sowjetischen Macht wurde durch große Versprechungen und Erwartungen für die Chanten und andere Völker des Nordens begleitet. 1925 wurde ein Komitee für die Völker des Nordens gegründet, mit der Absicht die Chanten, Mansen und Nenzen auf den Weg des Fortschritts zu führen. 1930 wurde der Nationale Bezirk der Chanten und Mansen gegründet. Dieses neue Leben war nicht weniger verstörend für die Chanten es rief nur Angst und Verwirrung hervor.
Die Einrichtung von Kolchosen war von schweren Repressionen begleitet.
Durch den Angriff auf die alten Traditionen durch die neue Ideologie, begann die Verfolgung der Schamanen und die Zerstörung der den Chanten heiligen und Grabstätten. Die Kinder der Chanten wurden zwangsweise in Internate gebracht.

Der größte Ausbruch von Widerstand der Chanten, wurde von den Ältesten geführt, als Aufstand von Kazym bekannt und brutal niedergeschlagen. Unter anderem wurden Dörfer der Chanten niedergebrannt und damit ein Großteil der Kultur der Chanten völlig zerstört.
Kulturzentren und "rote Zelte“ wurden errichtet um die sowjetischen Lebensweise und die dazugehörigen Bräuche zu verbreiten. Von da an konnte jeder, der an den üblichen Bestattungsriten teilnahm zu zehn Jahren Haft verurteilt werden. Die Bärenjagd war ebenfalls verboten.

In den 1950er und 60er Jahren wurden große Gas-und Ölvorkommen in Westsibirien entdeckt. Die Chanten hatten sich kaum von den Schlägen des Stalinismus erholt, fanden sich nun der Gnade der Technokraten ausgesetzt und die Wirtschaft war rücksichtslos und gierig. Öl verunreinigte die Weiden und Gewässer die einmal mit Fischen gefüllt waren, die Gas- und Ölleitungen blockierten die Pfade der Rentiere und Waldbrände zerstörten die Wälder.
Jedes Jahr entstanden 20 000 – 25 000 Tonnen Verschmutzung. 50% des Erdgases wird einfach sinnlos verbrannt. Die Verschmutzung durch die Industrie reduziert die Fischgründe um ca. 10.000 Hektar pro Jahr. Allein im Ortsteil Nizhnevartovsk zerstörten Feuer 1989 260 000 Hektar Wald.
Zur gleichen Zeit gab es eine explosive Zunahme der Bevölkerung vor allem auf Stadtgebiet. Im Jahr 1969 lebten 289.000 Einwohner im autonomen Bezirk der Chanten und Mansen. Bis 1979 stieg die Zahl der Einwohner bereits auf 596 000 an und im Jahr 1989 waren es bereits 1,268 Millionen. Die Schwäche der nördlichen Biosphäre und ihrer Ressourcen wurde völlig ignoriert.

Der überwältigende Druck der Industrie und fremden Lebensweisen haben Zweifel an der weiteren Existenz der Chanten als Nation aufgeworfen. Bereits im 19. Jahrhundert regten M.A. Castrén und K.F. Karjalainen an, dass die Chanten besser wieder in ihre ursprüngliche Heimat und Umgebung zurückkehren sollten und lernen ihr Volk und ihre Bräuche zu respektieren.
Tatsächlich haben sich aber die Verantwortlichen nur auf ihre eigenen Bedürfnisse konzentriert. Dies nahm den Chanten jegliches Selbstbewusstsein und förderte ihren Niedergang.
Wirtschaftliche, kulturelle und sprachliche Diskriminierung der Chanten nahm Einzug in die Gesellschaft. Sie sind als Hunde bezeichnet worden, und spöttische Bemerkungen über ihre dunkle Haut waren keine Seltenheit. Heute flüchten sich viele Chanten in den Alkoholkonsum und auch die Selbstmordrate unter ihnen ist relativ hoch.

Obwohl die Anzahl der Chanten in den drei Jahrhunderten ihrer Existenz im Rahmen des Russischen Staates, also vom 17. bis ins 19. Jahrhundert, von 6 300 Personen bis auf 16 200 gewachsen, ist ihre Zahl heute eher abnehmend. (1) (2) (3)

Jahr

Bevölkerung (3)

1840

~ 16 200

1868

~ 17 100

1897

~ 19 700

1911

~ 18 600

1926

~ 22 200

1939

~ 18 500

1959

~ 19 400

1970

~ 21 100

1979

~ 20 100

1989

~ 22 500

Geographische Verbreitung


Die Chanten sind ein Volk in Sibirien, dessen Verbreitungskreis am untern Ob und Jenissei südlich fast bis nach Tobolsk und Tomsk, nördlich über den 65. Breitengrad hinausreicht, längs des Ob sich sogar über den 67. Breitengrad ausdehnt.
Fast 60 % der Chanten leben im Autonomen Kreis der Chanten und Mansen, 30,5 % im Autonomen Kreis der Jamal-Nenzen. Eine kleine Anzahl der Chanten lebt im Gebiet Tomsk und in der Republik Komi. (1) (2)

#Abb. 2 Karte der Verbreitungsgebiete der Chanten

Kultur


Die Chanten befassten sich traditionell mit dem Fischfang in Flüssen, mit der Jagd in der Taiga und mit der Rentierzucht.
Die Hauptnahrung der Chanten bestand aus Fisch, aus Rentierfleisch oder dem Fleisch anderer Tiere. Im Herbst wurde Rentierfleisch auf Vorrat zubereitet. Der Fisch wurde roh, gekocht, gedörrt oder gefroren gegessen. Aus den Innereien ließ man den Fischtran aus, in dem man dann die Fladen buk.
Eine große Bedeutung besaß in ihrem Leben auch das Sammeln.
Im Sommer nutzten die Chanten Boote verschiedenster Typen. Im Winter nutzte man Skier oder Rentier- und Hundeschlitten als Fortbewegungsmittel.

Die Chanten sind eher klein gewachsen, die durchschnittliche Größe der Männer beträgtt 158 cm und die der Frauen 146 cm. Sie haben breite Schultern ihr Rumpf hat eine charakteristische Wölbung. Sie haben schmale Augen und hohe Wangenknochen und ihre Augen und Haare sind dunkel.
Die Mehrzahl der Chanten führte eine halb nomadische Lebensweise.
Sie zerfallen in eine Menge Geschlechter oder Stämme, an deren Spitze ein Ältester steht (Starschina), der für Aufrechterhaltung der Ordnung zu sorgen hat.
Sie sind militärfrei, entrichten aber der russischen Regierung eine Steuer (Jassok), die früher in Pelzwerk und jetzt in Geld eingefordert wird, die sie aber bei ihrer großen Armut kaum zu zahlen imstande sind, da die Ausbeute der Jagd immer schwieriger und geringer wird.

Aus ihren ständigen Winter-Niederlassungen zogen sie in ihre Saisonunterkünfte. Ihre Behausungen sind sehr mannigfaltig. Im Winter lebten sie in Erdhütten oder in Halberdhütten, die ein Holzgerüst besaßen, das von oben mit Stangen, Zweigen, Grasnarbe und Erde bedeckt wurde. Die Beheizung erfolgte durch einen so genannten „Tschuwal". Das war ein offener Herd aus Stangen, die mit Ton beschmiert waren. Die Saisonunterkünfte der Chanten wurden aus Stangen errichtet und mit Birkenrinde bedeckt. Die Rentierzüchter unter den Chanten lebten im Tschum, den sie mit Rentierfellen bedeckten. (1) (2) (3)

Religion

Die traditionelle Religion der Chanten ist der Schamanismus.
In der geistigen Kultur der Chanten nahm der Bärenkult einen großen Platz ein. Damit ist ein ganzer Komplex von Bräuchen verbunden zum Beispiel das Bärenfest.
Ihre Götzenbilder werden in besonderen Jurten aufbewahrt.(2)

Folklore

Die Chanten haben eine reiche Folklore (die vor allem im späten 19. und im frühen 20. Jahrhundert von Antal Reguly, Serafim Patkanov, K.F. Karjalainen, Artturi Kannisto, József Pápay, Bernát Munkácsi und anderengesammelt wurden), Sagen und Märchen, Mythische, Helden- und Schicksalslieder auch Rituale (Bärenfest mit Bärenliedern). In ihnen war von den Vorfahren, von Stammeskriegen und anderen Ereignisse aus der Vergangenheit die Rede.(2)

Kunst


Was die Nationalkleidung der Chanten betrifft, so trugen die Rentierzüchter als Oberbekleidung einen vorn nicht aufgeschnittenen Mantel mit Kapuze (#Abb. 3).
Übrigens wurde diese Art der Oberbekleidung bei den Nenzen entlehnt. Die Alltagskleidung bestand aus Mänteln, die aus Rentier- oder Hasenfellen, aus dem Fell der Eichhörnchen- und Fuchspfoten genäht waren. Im Winter trug man Rentierfellschuhe mit Fellstrümpfen. Die Bekleidung der Männer wie der Frauen war kunstvoll verziert mit Glasperlen, mit Metallplättchen oder Applikationen.(2)


Kunsthandwerk:
Meist mit geometrischen oder stilisierten Tier- und Pflanzenornamenten verzierte Gegenstände aus Leder, Holz, Stoff, Birkenrinde (#Abb. 4).



Sprache


Die Sprache der Chanten gehört zu der finnisch-ugrischen Gruppe des ururalischen Sprachstammes. Die chantische und die mansische Sprache entstanden ca. im 13. Jahrhundert.

In der chantischen Sprachen existieren drei Dialektgruppen: die nördliche, südliche und östliche. In jeder dieser Gruppe gibt es weitere Dialekte. Die Unterschiede zwischen diesen Dialekten sind spürbar, und sie behindern die Kommunikation. Dieser Umstand erschwerte die Schaffung eines Schrifttums. Eine Grammatik der Sprache verfasste Castrén (2. Aufl. von Schiefner, Petersb. 1858). Ab 1940 wurde der chantischen Literatursprache ein Dialekt zugrunde gelegt, der am Mittellauf des Ob gesprochen wird. Gegenwärtig stützt sich das Schrifttum auf fünf Dialekte der chantischen Sprache. (2)

Die chantische Sprache beinhaltet viele Lehnwörter vor allem aus dem russischem. Die älteren Lehnwörter sind assimiliert, die neueren aus der russischen Sprache nicht mehr vor allem durch die jetztige Zweisprachigkeit der Chanten. (3)

Quellen


(1)

Zugriff am 22.11.2011: URL: http://www.peter-hug.ch/lexikon/Wogulen

(2)

Zugriff am 10.01.2012: URL: http://german.ruvr.ru/radio_broadcast/17350884/21516393.html

(3)

Zugriff am 10.01.2012: URL: http://www.eki.ee/books/redbook/khants.shtml

Abb. 1

Zugriff am 10.01.2011: URL: http://www.baz-selbelang.de/jugra.html

Abb. 2

URL: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:Map_of_Russia_-_Khanty-Mansi_Autonomous_Okrug_(2008-03).svg&filetimestamp=20100204172525

Abb. 3

Zugriff am 18.01.2012: URL: http://www.artdirectors.co.uk/preview.php?id=00489754&pg=1

Abb. 4

Laakso, J.: Vorlesungsfolien SS 2011: Kulturen der uralischen Völker

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