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DIE LIVEN



Die Liven nennen sich selbst randalizt „Küstenbewohner“, kalamied „Fischerleute“, oder livliz. Nach dem Zweiten Weltkrieg werden auch Begriffe wie liivod, liibod, liivnikad und liivlist verwendet. Die Eigenbezeichnung der Sprache ist randakeel „Küstensprache“.
Mit den lateinischen Namen Livonia, Livonicus, Lyvones, Livoni, Lyvonia wurden die Liven erstmals im 13. Jhd von dem dänischen Geschichtsschreiber Saxo Grammaticus und Heinrich den Letten namentlich angeführt.(1)

Inhaltsverzeichnis

  1. #Geschichte
  2. #Geographische Verbreitung
  3. #Kultur
  4. #Sprache

Geschichte


Jahr

Bevölkerung (6)

12. - 13.Jhd.

15 000 - 28 000

1835

2074 kurländische Liven

1852

2324

1860

3 000 kurländische Liven

1925

1238 (Lettische Volkszählung)

1938

800 - 1 000

1957

~ 1 000 (sowjet. Volkszählung)

1958

550 in Kurland, 200 - 250 außerhalb

1990

35, 15 davon sprechen fließend Livisch

1995

15 - 20 aktive Sprecher

2003

1 "echter" Muttersprachler

2009

der letzte "echte Livischsprecher" stirbt

Die ersten schriftlichen Aufzeichnungen der Liven in Livland (ein historisches Gebiet im Baltikum) stammen aus dem 11. Jhd. Daten über livische Siedlungen im Norden Kurlands stammen aus dem 14. Jhd.
Fischfang, Landwirtschaft und Seefahrt waren die wichtigsten Bestandteile der traditionellen Kultur der Liven. Da sich ihre Siedlungen an einer wichtigen Handelsstraße – dem Väina Fluss – befanden, war ihre Kultur durch Handel mit Gotland, Kiewer Rus und Finnland hoch entwickelt.
In der zweiten Hälfte des 12. Jhd. kamen mit den Kaufleuten Missionare aus Westeuropa, welche die heidnischen Liven christianisierten. Um die Unterwerfung aller Liven und Esten zu erzielen wurde ein Ritterorden, der Schwertbrüderorden, welcher größtenteils aus Deutschen bestand, gegründet.Die Liven mussten sich dem deutschen Ritterorden anschließen und wurden bei Kämpfen gegen Estland und Lettland, welche bis 1217 dauerten, als Infanterie eingesetzt.
Während des livischen Kreuzzuges wurde Livland zerstört, Regionen entvölkert und ausgeplündert und die Zahl der Liven deutlich durch Krieg und Pest vermindert. Die nurmehr dünn bewohnten Gebiete der Liven wurden im 13. Jhd. von lettischen Stämmen, vorallem in der Region um den Väina Fluss, besiedelt. Aufgrund dessen wurden die Liven die in Livland im Osten wohnten von denen die auf der Kurlandhalbinsel im Westen lebten getrennt. Durch die ständige Assimilation der Liven mit den lettischen Stämmen wurde die Zahl der Liven immer kleiner.(1)
Vom 13. bis zum 16. Jhd. weiß man nur wenig über die Liven. Die Chronisten Thomas Hiärne und Paul Einhorn bestätigen, dass im 17. nur sehr wenige Liven zurück geblieben waren. Ein Mitglied der Petersburger Akademie der Wissenschaften, Andreas Johan Sjögren (1794-1855) reiste im Sommer 1852 nach Kurland und zählte 2324 Liven.
Die Forschungstätigkeiten von Lauri Kettunen und dem Folklorist Oskar Loorits (Der Glaube des livischen Volkes I-III, 1926-28, Volkslieder der Liven 1936) trugen maßgeblich zum nationalen Erwachen des livischen Volkes bei. Im Rahmen dieser Bewegung begannen Menschen die das Livische nur passiv beherrschten aktiv auf livisch zu kommunizieren.
1921 bekamen die Liven das Recht auf eine eigene Gemeinde, diese Erlaubnis wurde jedoch durch Ablösung des Innenministeriums wiederrufen. Der Grund der Ablehnung war die Vermutung, dass die Liven durch eine Volksabstimmung Antrag auf Vereinigung mit Estland vorhaben könnten.
1923 gelang es den Liven trotz Widerstände der lettischen Regierung ihren eigenen Verein Livod it (Livische Gesellschaft) zu gründen. Diese Gesellschaft unternahm den Versuch Gottesdienste in den Kirchen der Livischen Dörfer auf Livisch halten zu lassen. Bis 1930 verlief der Gottesdienst auf lettisch. Der finnisch Pastor Helle Kalervo Erviö predigte 4 – 5 mal für die Liven, zuerst auf Estnisch, später auch auf livisch.
Die Livische Gesellschaft wollte einen eignen Pfarrer ausbilden lassen. Als der entsprechende Kandidat Edgar Vaalgamaa 1939 mit seinem Studium in Helsinki fertig wurde, war er gezwungen in Helsinki zu bleiben da die Sowjetunion die totale Machtübernahme in Estland, Lettland und Litauen anstrebte. Zum ersten mal konnte er 50 Jahre später,im Jahre 1989 für die Liven in der Heimatkirche Mazirbe predigen.
Zu dem nationalen Vorhaben gehörte auch der fakultative Livischunterricht und die Gründung eines Sängerchors.
Ein wichtiger Sektor der livischen Kultur war die Wiederbelebung der livischen Schriftsprache. In den Jahren 1926 – 1939 entstanden in Tartu fünf kleine Lesebücher, deren Orthographie dem Estnischen ähnelte. Ein weiterer wichtiger Meilenstein in der nationalen Entwicklung der Liven war der Bau des livischen Kulturhauses welches 1939 im Dorf Mazirbe eröffnet wurde. In den Dörfern lebten etwa 2000 Liven.
Weniger als ein Jahr später besetzten die sowjetischen Truppen die Gebiete des lettischen Staates. Alle nationalen Organisationen wurden liquidiert, die livische Gesellschaft aufgelöst, das Kulturhaus übernommen, livischsprachige Bücher verboten und vernichtet, der Livischunterricht beendet. Livisch wurde wieder zu einer reinen Umgangssprache. Auch während der deutschen Herrschaft (1941-45) gab es keine Möglichkeit für eine erneute nationale Betätigung. 1945 eroberten sowjetische Truppen die Gebiete der Liven und die Sowjetmacht wurde erneut errichtet. Im Sommer 1948 wurde unter Leitung des Leiters des Lehrstuhls für finno-ugrische Sprachen an der Universität Tartu eine Forschungsreise unternommen in der die Zahl der Liven auf 800 gesetzt wurde. Während des Krieges hatten mehr als die Hälfte des livischen Volkes ihre Heimat verlassen.
Da während der Sowjetzeit das Bewahren und Entwickeln der livischen Kultur und das livischsprachige Sprechen verboten war verleugneten viele Liven ihre Identität und versuchten Letten zu sein. Bei der Volkszählung galten die Liven automatisch als Letten.
Im Jahr 1970 gelang es das Ensemble der Liven Livlist zu gründen. Hier wurde die Nationalkultur heimlich gepflegt. 44 Jahre standen die Liven unter psychischem Druck der Sowjetmacht und durften sich weder als Liven betrachten noch die livische Kultur entwickeln.
Die livischen Dörfer gehörten zu den strengsten Sperrgebieten in die man nur mit Sondergenehmigung gelangte. Der Meerstrand war mit Stacheldraht abgesperrt, und wurde streng bewacht. In der Küstenregion gab es keine Arbeitsmöglichkeiten mehr da der Fischfang aufgrund der Strandsperrung beendet wurde.Die Liven waren gezwungen Arbeit im Landesinneren unter den Letten zu suchen wodurch sich die Zahl der livischen Sprecher ständig verkleinerte. Der Höhepunkt der Zweisprachigkeit und Assimilation war in den 1970er Jahren.
1988 begann der Zerfall der Sowjetunion und für viele Dörfer bedeutete das Hoffnung auf die Bewahrung ihrer Sprachen. Damals gab es 35-40 Liven. Es wurde der Livische Kulturverein gegründet. Es wurde angefangen die Liven zusammenzuziehen und den Kindern und Eltern Livischunterricht zu geben. Der livische Kulturverein arbeitete erfolgreich: es wurde Livischunterreicht für Kinder auf Sommerlagern organisiert, einige Ausgaben der Zeitschrift Livil erschienen. Der Livische Kulturverien trat die Rechtsnachfolge der Livischen Gesellschaft an und arbeitet unter ihren Namen weiter. In der Gesellschaft gab es keine Sprecher des Livischen mehr, die ganze Organisation fand auf Lettisch statt.
Die heutige Lage der Liven und des Livischen ist Hoffnungslos. Die letzten Sprecher des Livischen sind die Erforscher des Livischen in Estland, Finnland und Lettland. Für den Schutz der livischen Gebiete wurde die Organisation Livod Randa gegründet. In der lettischen Verfassung wurden die Letten und die Liven als Urvolk der Lettischen Republik festgelegt.(2)

Geographische Verbreitung


Liven bewohnten weite Gebiete des heutigen Lettland: Kurland (lett. Kurzeme) nördlich vom Abava Fluss und Livland (lett. Vidzeme) nördlich vom Gauja Fluss. Bis zum 19 Jhd. Waren die Liven in Livland beheimatet wo sie heute jedoch bereits ausgestorben sind. Heute befinden sich die letzen 12 Livendörfer innerhalb eines 60 km langen und 2 – 5 km brieten Küstenstreifen auf der Kurlandhalbinsel.

Kultur


Text

Religion

Text

Folklore

Ein wichtiges Datum für die Liven ist Ostern. Die Rituale sind hauptsächlich mit dem Meer und dem Fischfang verbunden. So wird zum Beispiel am Ostermorgen der Meermutter geopfert.
Nach livischer Mythologie überwintern die Vögle nicht im Süden sondern bleiben im Land und halten einen Winterschlaf. Zu Ostern wird eine Tanne am Strand aufgestellt und geschmückt und die Vögel mit einem Lied geweckt.
Sommer- und Wintersonnenwende sind auch wichtige Ereignisse im livischen Kalender (3)

Trachten


Die in Museen ausgestellten und in mündlichen Erzählungen vorkommenden Kleidungsstücke der Liven helfen die traditionelle Tracht zu rekonstruieren: Frauen trugen Tunika-ähnliche Shirts, eine Jacke oder ein kurzes Jäckchen und einen Rock. Die ältesten Röcke waren mit vertikalen Streifen und zwei ,an den unteren Rand angenähten, farbigen Bändern verziert.
Typisch für die Tracht der Frauen war ein weißer Schulterschal aus Wolle, obwohl bunte Schulterschals beliebter waren. Bei kalten und nassem Wetter bedeckten sich die Frauen mit einem Halbrock, welcher weiter als der normale Rock war.
Livische Frauen trugen Schultertücher aus Seide, Baumwolle und Wolle.
Verheiratete Frauen trugen eine Kopfbedeckung mit reichen Verzierungen (Bänder aus Seide, Stoffteile und Glasperlen). Außerdem trugen sie ein Kopftuch welches Wangen und Kinn bedeckte.
Eine weiße Schürze wurden von den Frauen zu festlichen Anlässen getragen. Männer trugen vor allem Hemden, Hosen und Jacken. Die Hosen waren meist Knielang, dazu wurden Kniestrümpfe welche einen handgewebtes Band unter dem Knie hatten getragen. Livische Männer bevorzugten kurze Jacken. Manchmal trugen sie Mantelähnliche Jacken ohne Knöpfe dafür mit einem gewebten Gürtel. Im Winter trugen sie Mäntel aus Schafsfell(leder) welche mit Fleece gefüttert waren.(3)

Kunst

Text

Literatur

Die Kreuzzüge im Mittelmeerraum beeinflussten die Verbreitung des Christentums unter livischen Stämmen. Folglich war der erste livischsprachige Text
das Vater unser, welches frei aus dem lettischen in die Mundart übersetzt wurde.
Das erste livischsprachige Buch erschien 1863 in London und war eine Übersetzung des Matthäusevangeliums. Es erschien im Ost und Westdialekt.
1861 erschien eine Grammatik des Livischen in 2 Bänden und ein livisch-deutsch, deutsch-livisches Wörterbuch welche zusammen über 1000 Seiten hatten.
1924 erschien die erste livische Gedichtsammlung in Tallinn.
Im Rahmen einer nationalen Wiederbelebung der livischen Sprache wurden 1920 – 1926 fünf kleine Lesebücher in Tartu veröffentlicht. Die Orthographie dieser Bücher ähnelte dem Estnischen .
Am 23.12.1931 erschien die erste Ausgabe der Zeitschrift Livil („Der Live“). Der Inhalt bestand aus Informationen, Texten von Volksliedern, Volkserzählungen, Gedichten und Übersetzungen aus dem Finnischen und Estnischen.
Weiters erschien 1938 ein Wörterbuch mit grammatischer Einleitung von Lauri Kettunen, Professor der ostseefinischen Sprache an der Universität Tartu, welches heute noch als sichere Quelle benutzt wird.
„Das Lesebuch der Muttersprache „ von Damberg war 60 Jahre lang das bedeutenste Werk aus dem Livisch gelernt wurde. Die Orthographie dieses Werkes ist dem Finnischen ähnlicher da es in Helsinki veröffentlicht wurde.
In den 1970er Jahren gab es Veröffentlichungen zur Geschichte der Liven und des Livischen, Morphologie, Syntax und Wortschatz.
1989 erschienen wieder einige Ausgaben der Zeitschrift Livil auf lettisch und livisch in denen Vorträge von Konferenzen publiziert wurden.
Es wurden nur wenige Bücher in der livischen Sprache veröffentlicht. Oft wurden sie in zwei Sprachen, auf Lettisch und Livisch publiziert. Sowie zum Beispiel die größte Sammlung livischer Gedichte „Es viltigaks par tevi, menca“ (1998). In diesem Buch wurden Gedichte von den 24 bekanntesten livischen Dichtern zusammengetragen. (1) (2) (3)

Das livische Alphabet wurde vor 75 Jahren vom livischen Dichter Karlis Stalte geschrieben. Das Manuskript wurde erst vor 5 Jahren in einem Archiv in Estland gefunden. (3)

Sprache


Livisch gehört zum ostseefinnischen Zweig der finno-ugrischen Sprachen und wird oft als "kleinste Sprache Europas" bezeichnet. Es existieren nur einige wenige "echte" Sprecher, somit steht die Sprache kurz vor dem Aussterben.(6)(5)
Seit einiger Zeit wird die Sprache wieder von livischstämmigen (Lettisch als Muttersprache) Personen, welche die Sprache verlernt oder nur als Kind gesprochen haben, erlernt. Livisch wird offiziell an keiner Schule unterrichtet. Einmal im Jahr gibt es ein Sommerlager für Kinder und Jugendliche am Livischen Strand. Gelehrt wird Livisch an der lettischen Universität in Riga.
Es gibt dialektale Unterschiede zwischen West und Ost im Kurland-Livischen. Das im 19. Jhd. ausgestorbene Livland-Livisch zeigt Gemeinsamkeiten mit dem Estnischen.
Durch die starke Beeinflussung des lettischen, hat sich das Livische deutlich von den nächsten Verwandten entfernt.(7)
Die lautliche Schriftsprache ist durch 8 Monophtonge und 12 Diphtongen gekennzeichnet. Außerdem verfügt das Livische über ein reiches Konsonantensystem (23). Vokalharmonie und der Stufenwechsel sind im Livischen verloren gegangen.
Das Livische hat sich von einer ursprünglich agglutinierenden Sprache zu einer flektierenden entwickelt. Der lettische Einfluss macht sich in der Lexik sowie in der Grammatik bemerkbar.
Die livische Orthographie existiert seit den 20er Jahren des 20 Jhd. und stützt sich größtenteils auf die lettische, aber auch auf die estnische.
Livisch Lettisch und Lettgallisch gehören seit dem Sprachgesetzt von 1994 zu den indigenen Sprachen Lettlands.(4) (5)

Sprachprobe: http://video.helsinki.fi/Media-arkisto/vainolan_lapset.html

Quellenverzeichnis


(1)

The Red Book of the Peoples of the Russian Empire: Livonians. URL (2011)URL (2011): http://www.eki.ee/books/redbook/livonians.shtml

(2)

Eduard Vääri: Sprachen in Finnland und Estland, Pekka Lehtimäki (Hrsg.). Wiesbaden 1999, S. 116.123.

(3)

URL (2011): http://www.livones.lv/libiesi/kultura/?raksts=232

(4)

Janrich, N., Greule, A. (Hrsg.). (2002). Sprachkulturen in Europa: ein internationales Handbuch. Tübingen: Narr.

(5)

Eberhart Winkler: URL Livisch (2011) http://wwwg.uni-klu.ac.at/eeo/Livisch.pdf

(6)

Vorlesungsfolien Prof J. Laakso, Universität Wien, WS2011

(7)

Sinor, D. (ed.). 1988. Handbook of Oriental Studies: The Uralic languages: description, history and foreign influences. Leiden: Brill

(8)

Zugriff am 28.12.2011 http://www.dw-world.de/dw/article/0,,2728188,00.html

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