- Erstellt von Schmutzer Jonas, zuletzt aktualisiert am 01. Sep 2025 Lesedauer: 7 Minute(n)
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Enzyklopädische Einleitung
Kingdom Come: Deliverance ist ein Rollenspiel (RPG) in einer offenen erkundbaren Spielwelt, welches mit einer gut umgesetzten, „authentischen“ Wiedergabe der Geschichte und der Architektur des spätmittelalterlichen Böhmens (15. Jahrhundert) wirbt. Es wurde von Warhouse Studios entwickelt und im Jahr 2018 vom Publisher Deep Silver veröffentlicht. Die vom Spiel behandelte historische Epoche (der Start des Spiels ist im Mittelalter um 1403 angesiedelt) war gekennzeichnet vom Machtkampf um die Erbfolge nach dem Tod König Karls IV. Die Spielenden schlüpfen in die Rolle des jungen Heinrich, Sohn eines Schmiedes im kleinen Dorf Skalitz. Nachdem das Heimatdorf Ziel eines Überfalls wurde, begibt sich Heinrich auf die Reise durch das mittelalterliche Böhmen und sucht seinen Platz in der Gesellschaft. Kingdom Come: Deliverance zeichnet sich durch die Abwesenheit von Fantasyelementen und einer möglichst realitätsnahen Darstellung von verschiedenen Gesellschaftsschichten, Berufen, Kleidung und Kampftechniken aus. Nichtsdestotrotz soll an dieser Stelle angemerkt sein, dass der leitende Entwickler mit Aussagen über die absichtliche Absenz von People of Colour und anderen fragwürdigen politischen Statements für Kontroverse gesorgt hat.
Medienleiste für Spielvorstellungen und erstes Kennenlernen
(Video extrem leise) |
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Allgemeine Spielanalyse
Kingdom Come: Deliverance bietet als „Mittelalter-Simulator” eine weitreichende Open World, die mit den zahlreichen Facetten des mittelalterlichen Alltags und den Sorgen und Freuden der damaligen Gesellschaft bestückt ist. Der Hauptcharakter Heinrich findet sich inmitten der Konflikte zwischen König Wenzel IV. und dessen Halbbruder Sigismund um das Erbe deren Vaters Karl IV. wieder. Nachdem sein Heimatdorf einem Überfall zum Opfer wird, begibt sich Heinrich auf einen Pfad der Rache, im Zuge dessen er sich vom einfachen Sohn eines Schmiedes zum tapferen Krieger und Diplomaten hocharbeiten möchte. Das Spiel stellt den:die Spieler:in laufed vor schwierige Entscheidungen, was wiederum verschiedene Lösungswege für Heinrichs Aufgaben ermöglicht und den Spieler:innen eine gewisse Handlungsfreiheit gibt. Entscheidungen beeinflussen dabei nicht nur die Lösungsmöglichkeiten für die zahlreichen Aufgaben, sondern können auch unvorhergesehene Konsequenzen nach sich ziehen. Eindrucksvoll ist auch, dass die Geschichte des Protagonisten zwar rein fiktional ist, die Rahmenhandlung jedoch auf historisch belegten Begebenheiten basiert. So sind manche Personen des Spiels bekante Persönlichkeiten der böhmischen Geschichte, und Nachbildungen verschiedenster Orte und markanter Gebäude wurden auf Basis von Aufzeichnungen und stellenweise sogar realen Ruinen rekonstruiert (Cook 2024, 28).
Die Hauptmechaniken des Spiels setzen sich aus einer realistischen Form des Schwertkampfes und Bogenschießens, des Erlangens und Instandhaltens von Ausstattung, einem ausgefeilten Handwerkssystem und der bereits erwähnten Entscheidungspfade über das Dialogsystem zusammen. Im Gegensatz zu anderen Spielen mit vergleichbaren Settings, wie etwa The Witcher 3 (CD Project RED 2015) verzichtet Kingdom Come: Deliverance bereitwillig auf übernatürliche Elemente zugunsten seines authentisch-historischen Settings. Das Questsystem ist darauf ausgelegt, die oben genannten Spielmechaniken sinnvoll ins Geschehen einzubinden und durch die Interaktionen mit NPCs (nicht spielbare Charaktere) ein Gefühl des „dabei-seins“ zu ermöglichen. Die Grafik orientiert sich dabei am Realismus, mit detaillierter Darstellung von Landschaften, Städten und Kleidung. Für die Immersion unterstützend wirken auch die Musikstücke, welche die Spielenden, je nach Ort und Event, zu hören bekommen. Auch Umgebungsgeräusche, wie Marktgeschrei oder Klatsch und Tratsch unter den NPCs, tragen maßgeblich zu der authentischen Atmosphäre bei. Gefeiert und kritisiert zugleich ist das Steuerungssystem von Kingdom Come: Deliverance. Durch seine Komplexität und die daraus resultierende, notwendigerweise steile Lernkurve macht sich das Spiel nicht ausschließlich Fans. Der Kampf mit dem Schwert gibt Hieb- und Stichrichtungen vor, ebenso verhält es sich mit dem Parieren von gegnerischen Angriffen. Des Weiteren existiert ein System, das die soziale Reputation des gespielten Charakters simuliert, welche durch die Entscheidungen bei sozialen Interaktionen beeinflusst wird. Die Spieler:innen verbessern durch ihre Handlungen unterschiedliche Attribute wie Redekunst und Vitalität. Besonders positiv hervorheben lassen sich die Kodexseiten im Menü. Diese enthalten zusätzliche Informationen und Erklärungen zu Charakteren, Berufen, Orten und der Rahmenhandlung. Die Community rund um das Spiel debattiert in diversen Foren gerne über historische Genauigkeit und verschiedenste Aspekte des Gameplays. Gerade aktuell (März 2025) gibt es Grund zur Diskussion, da kürzlich die Fortsetzung des Spiels (Kingdom Come: Deliverance 2) erscheinen wird.
Kingdom Come: Deliverance ist aufgrund der Komplexität und der Altersbeschränkung grundsätzlich auf Erwachsene mit hohem Interesse an realistischen, geschichtlich möglichst authentischen Simulationen ausgerichtet. Nicht ohne Grund löste das Spiel einen regen Diskurs über die Eignung des Mediums zur Vermittlung ‚authentischer‘ Geschichtsbilder und der Genauigkeit der Darstellungen mittelalterlicher Gesellschaften in Videospielen an. Insbesondere der Beginn des Spiels bis zum Überfall auf Heinrichs Heimatdorf eignet sich in Teilen jedoch auch für jüngere Spieler:innen.
Fachliche Analyse
Kingdom Come: Deliverance bietet den Spieler:innen ein möglichst authentisches Erlebnis und stellt ein genauestens recherchiertes geschichtskulturelles Produkt dar, das zur Vermittlung von Geschichtsbildern und deren Erweiterung herangezogen werden kann. Hier gilt es zu beachten, dass wirtschaftlicher Erfolg oft im Konflikt mit faktischer Historizität steht. Ein besonders einflussreiches Konzept zur Beschreibung solcher Phänomene bietet jenes der affektiven Historizität. Diese beschreibt den Effekt, dass Spieler:innen dazu tendieren, Spiele aufgrund sensorischer Eindrücke und weniger aufgrund faktisch korrekt umgesetzter Darstellungen als authentisch und historisch korrekt wahrzunehmen (Rollinger 2017, 312).
Felix Zimmermann (2023, 91) beschreibt den Wunsch der Konsument:innen geschichtskultureller Produkte nach Authentizität als Reaktion auf Unsicherheit und Zukunftsängste des konsumierenden Individuums. Genau aus diesen Gefühlen heraus bestünde ein gesteigertes Interesse an diversen Formen von emotionalisierenden und erlebnisorientierten Geschichtsangeboten. Schlussendlich argumentiert er, dass es des Begriffs der „Vergangenheitsatmosphäre“ bedarf, um beschreiben zu können, wie es Medien wie digitalen Spielen gelingt, Authentizitätsbedürfnisse zu befriedigen und wie das Gefühl von Authentizität hervorgerufen werden kann. Der Authentizitätsbegriff selbst entzieht sich dabei einer genauen Definition und muss als vielschichtiger Begriff betrachtet werden. Aus der Begriffsgeschichte geht der Eindruck hervor, dass Authentizität über die Jahrhunderte nie eine einheitliche Definition besaß. Im 18. jahrhundert galt etwas als authentisch, wenn es von einer befugten Instanz autorisiert worden war. Im deutschsprachigen Raum wurde das Wort „authentisch“ primär als Synonym für „anerkannt“ genutzt. Seither fand der Begriff auch in der Geschichtswissenschaft Anklang und wurde verwendet, um verifizierte Quellen zu kennzeichnen und somit einen stärkeren Bezug zum Objekt herzustellen. Im Laufe der folgenden Jahrhunderte erlangt Authentizität zusätzlich eine ästhetische Bedeutung, was maßgeblich zur heutigen Komplexität der Bedeutung und Schwierigkeit der Definitionsfindung beiträgt. Durch den starken Fokus auf das „echte“, „naturbelassene“, und „unverfälschte“ im Zuge der Aufklärung und Frühromantik gelangt auch die originelle, wahre Art und Weise des Menschen in die als „authentisch“ beschreibbaren Kategorien. Somit fand ein erheblicher Bedeutungswechsel statt. Dadurch konnte nun neben Schriften und Urkunden auch das subjektive Erleben als authentisch bezeichnet werden. Eine Trennung des Begriffs im Sinne von materieller und subjektiver, erfahrungsbezogener Authentizität ist unumgänglich (Pirker/Rüdiger 2010, 13). Diese Trennung erfolgt basierend auf Knallers (2006, 12) Unterscheidung zwischen Objekt- und Subjektauthentizität. Die Objektauthentizität umfasst hierbei den Grad der Genauigkeit der historischen Darstellung, während die Subjektauthentizität nicht als Wahrnehmung, sondern vielmehr als „Treue zu sich selbst“ verstanden werden muss. Als dritte Kategorie des Authentizitätsbegriffes ist das Authentizitätsgefühl anzuführen. Zimmermann (2023) führt Authentizität als Krisenbegriff der Spätmoderne an und erläutert, dass sich Authentizitätsgefühle der „kulturkritischen Entfremdungserzählung“ fügen. Das Bedürfnis nach Authentizität beschreibt die Reaktion auf diese Entfremdung, denn sie befriedigt die Suche nach Echtheit, vor allem bei geschichtskulturellen Erlebnisangeboten. Um ein Gefühl der Authentizität hervorrufen zu können bedarf es einer adäquaten Atmosphäre des jeweiligen Produktes. Für den Erfolg eines solchen Produktes ist die Tiefe der Immersion in die Vergangenheit ausschlaggebend. Wie die Erkenntnisse aus der Literatur zeigen, suchen viele Konsument:innen geschichtlicher Medien und Erlebnisangebote Authentizität, um ihre Bedürfnisse nach Echtheit zu befriedigen, wobei das „Echte“ dabei keine objektive Darstellung der Vergangenheit, oder keine Originalquelle sein muss. Relevant für die Kategorisierung als authentisch oder unauthentisch ist das Authentizitätsgefühl, das vermittelt werden soll. Selbstverständlich geschieht dies auf höchst subjektiver Ebene und kann nicht verallgemeinernd festgesetzt werden (Zimmermann 2023, 120–123).
Bezogen auf Kingdom Come: Deliverance bedeutet dies, dass die Entwickler:innen außergewöhnlich gute Arbeit geleistet haben, diese Erwartungen und Bedürfnisse bei den Konsument:innen zu erfüllen. Kingdom Come: Deliverance nutzt die emotionale Story des Protagonisten, um das Spielerlebnis anregend zu gestalten und durch Interesse am Einzelschicksal des gespielten Charakters Spannung zu erzeugen. Um ein angenehmes Spielerlebnis garantieren zu können, konnten selbstverständlich nicht alle Spielmechaniken komplett realitätsgetreu gestaltet werden. Als Beispiel ist das Inventar anzuführen, in welchen man im Spiel mehrere hunderte Kilo an Ausrüstung herumtragen kann. Die Art und Weise, wie das Spiel das Leben im Mittelaler darstellt, reproduziert außerdem gewisse gängige Fehlannahmen über die Epoche, um keinen Bruch mit den Erwartungen der Konsument:innen zu riskieren. Dabei gerieten die Entwickler:innen auch ins Zentrum von Kritik. In Summe betrachtet überwiegen jedoch die genauestens recherchierten, detailliert umgesetzten und realitätstnahen Aspekte des Spiels. Kingdom Come: Deliverance trägt das Potential, die Geschichtsbilder seiner Spieler:innen nachhaltig zu beeinflussen. Die immersive Spielwelt und emotional fesselnde Story lassen die Spieler:innen die Geschichte des mittelalterlichen Böhmens überzeugend nacherleben.
Fachdidaktische Analyse
[Studentische] Auswertungen: Schüler:innenerfahrungen
Didaktisierungen
Didaktisierung 1: Zwischen Authentizität und Unterhaltung
Kingdom Come: Deliverance ist für seinen hohen Authentizitätsanspruch und der realitätstreuen Umsetzung der Spielwelt mehrfach preisgekrönt worden. Die Aufgabe dieses Beitrags befasst sich mit der Analyse der Charakterdarstellungen im Spiel und soll die historische De- und Rekonstruktionskompetenz (Methodenkompetenz) von Schüler:innen ab der 10. Schulstufe beanspruchen.
Nachweise
Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung: Bundesrecht konsolidiert: Gesamte Rechtsvorschrift für Lehrpläne – allgemeinbildende höhere Schulen. Online unter https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10008568 (Zugriff: 31.7.2025).
CD Project RED (2015): The Witcher 3. Wild Hunt.
Cook, James (2024): Kingdom Come: Deliverance and the Aesthetics of Authenticity. In: Journal of Sound and Music in Games, 05(2)/2024, S. 22 – 48.
Hellmuth, Thomas/Kühbauer, Christian (2016a): Kommentar zum Lehrplan der Neuen Mittelschule und der AHS-Unterstufe „Geschichte und Sozialkunde/Politische Bildung“. Wien. Online unter: https://www.politik-lernen.at/dl/NqssJKJKonmomJqx4OJK/GSKPB_Sek_I_2016_Kommentar_zum_Lehrplan_Stand_26_09_2016.pdf (Zugriff: 30.03.2025).
Hellmuth, Thomas/Kühbauer, Christian (2016b): Historisches und Politisches Lernen mit Konzepten. In: Verein für Geschichte und Sozialkunde, 46/2016, S. 3 - 8.
Knaller, Susanne (2006): Genealogie des ästhetischen Authentizitätsbegriffs. In: Knaller, Susanne/Müller, Harro (Hg.): Authentizität: Diskussion eines ästhetischen Begriffs. München, S. 17 – 35.
Mikuláš Podprocký (2018): Cover Art für Kingdom Come Deliverance. In: Steam. Online unter: https://shared.cloudflare.steamstatic.com/store_item_assets/steam/apps/379430/header.jpg?t=1741619061 (Zugriff: 28.03.2025).
Pirker, Eva Ulrike/Rüdiger, Mark/Klein, Christa/Leiendecker, Thorsten/Oesterle, Carolyn/Sénécheau, Miriam/Uike-Bormann, Michiko (2015): Echte Geschichte. Authentizitätsfiktionen in populären Geschichtskulturen. Bielefeld.
Rollinger, Christian (2017): Phantasmagorien des Krieges: Authentizitätsstrategien, affektive Historizität und der antike Krieg im modernen Computerspiel. In: Thersites. Journal for Transcultural Presences & Diachronic Identities from Antiquity to Date, 4/2016, S. 311 – 341.
Warhorse Studios (2018): Kingdom Come: Deliverance. Prag.
Warhorse Studios: Kingdomcomerpg.com. Online unter: https://kingdomcomerpg.com/ag?referer=%2F (Zugriff: 28.03.2025).
Writing Bull (2017): Erster Eindruck: Kingdom Come Deliverance | Entwickler-Interview [deutsch]. In: Youtube. Online unter: https://youtu.be/bvcikRyZnQw (Zugriff: 30.03.2025).
Zimmermann, Felix (2023). Virtuelle Wirklichkeiten. Atmosphärisches Vergangenheitserleben im Digitalen Spiel. Marburg.
Kingdom Come: Deliverance | |
Cover |
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Entwickler | Warhorse Studios |
Publisher | Deep Silver |
Genre | Open-World-Rollenspiel (RPG) |
Art des Spiels | kostenpflichtig, kommerziell |
Erscheinungsjahr | 2018 |
Altersfreigabe | USK 16, PEGI 18 |
Thema | Spätmittelalter, böhmische Geschichte, Hussitenkriege |
Plattformen | PC, PlayStation 4, PlayStation 5, Xbox One, Xbox Series X/S, Nintendo Switch |
Sprache(n) | Englisch, Deutsch, Französisch, Tschechisch, Italienisch, Spanisch u. a. |
Spieldauer | 50-100 Stunden (je nach Spielstil) |
Link zur Website | |
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