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Exzerpt aus: Wiegerling, Klaus. Medienethik. Sammlung Metzler, Bd. 314. Stuttgart: J.B. Metzler, 1998. S. 8ff

Jeder symbolische, mittelbare Austausch, der die räumliche und zeitliche Präsenz transzendiert und dadurch Öffentlichkeit erst ermöglicht, ist stets an einen medialen Träger gebunden. Es gibt keine Vermittlung ohne tragenden Grund; es trägt die Stimme einen geistigen Ausdruck, die Sprache tut es, es trägt die Projektionsfläche das Bild, die Versuchsperson einen Bestand an sozialer Information etc. Es kommt nun darauf an, aus den unterschiedlichen Gebrauchstypen ein Bedingungsgefüge herauszuarbeiten, das einen für unsere Zwecke sinnvollen Begriffsgebrauch darstellt. Welche Bedingungen also muß der Begriff des Mediums in einem philosophisch-ethischen Diskurs erfüllen?

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Die Position wird im ersten Falle durch den konkreten Ort des Mediums zum Ausdruck gebracht, der die Präsentation eines Abwesenden ermöglicht: Das Abwesende wird uns über eine konkrete Szene, ein konkretes Blatt, einen konkreten Bildschirm usw. vermittelt; und letztere nehmen konkrete Raumstellen ein. Aber auch in einem anderen Sinne artikuliert das Medium seine Position zum Abwesenden: ein Medium ist immer auch ein ideelles Strukturganzes, das bewertend und selektierend an eine Sache herantritt. Das Medium nimmt also selbst die Rolle eines Urteilenden bzw. Bewertenden gegenüber dem Abwesenden ein, was Günther Anders dazu veranlaßt, eine Nachricht, insbesondere eine in Bildform übermittelte Nachricht im Fernsehen, bereits als ein vom Gegenstand abgelöstes Prädikat und somit als ein Vorurteil aufzufassen (vgl. Anders 1956, §17, § 18 und § 19)... Im Falle des Mediennutzers wird die Position zum einen durch dessen leibliche Position und zum anderen durch die jeweilige soziale und historische Position zum Medium in seiner Artikulation via Bildschirm, Lautsprecher, Textseite usw. bestimmt. Das heißt, mein Leib muß in irgendeiner Weise an das Medium >angeschlossen< sein. Ich erfahre das Abwesende nur durch die relative Nähe eines Bildschirms etc . An das Medium angeschlossen muß aber nicht nur mein Leib, sondern auch mein Geist sein. Ich muß eine gewisse Fähigkeit zum Umgang mit einem Medium haben, muß lesen und den Code eines Bildes verstehen können. Jean Baudrillard geht noch einen Schritt weiter, wenn er behauptet, daß der Mensch selbst Teil der medialen Welt und somit >virtuell und praktisch< schon eine Maschine geworden sei. Der Mensch ist also selbst schon Teil der medialen Maschinerie, die er wie einen Herzschrittmacher benötigt und von der her er zusehends die Bedeutung seiner Existenz ableitet (vgl. Baudrillard 1986). Auch wenn Baudrillards Auffassung sehr provokativ und pointiert erscheint, so steht tatsächlich außer Frage, daß der Mensch in bestimmter Hinsicht nicht jenseits eines Mediums steht, sondern sich selbst immer schon in medialen Bezügen artikuliert. 

8) Es hält Abwesendes als Information verfügbar, speichert also, hält fest oder verzögert den Informationsfluß.

Dies geschieht durch unterschiedlichste Transformationen, durch Stilisierungen und besondere Einbettungen. Das Abwesende als Information zeichnet sich durch eine Art konservierende Präparation aus, wobei als die Urform der Konservierung die geformte Sprache gelten kann, die eine Mitteilung merk- und tradierbar macht. Die Information selbst ist niemals identisch mit der konkreten Sache oder dem konkreten Sachverhalt, sie ist eine bestimmte Präparation einer perspektivischen Wahrnehmung, eingeprägt in ein bestimmtes Trägersystem. Ein Medium verfügt über eine Speicherkapazität oder zumindest über die Fähigkeit, den Informationsfluß zu verzögern. Es verfügt über mehr als das, was es präsentiert. .... Ein Medium ist eine technische Einrichtung - mit all ihren materiellen Beständen - und die Einrichtung eines Sinngefüges bzw. eines Gefüges, das bestimmte Sinnbildungen ermöglicht. Fernsehen ist sowohl eine Bezeichnung für ein technisches Artefakt, eine bestimmte technische Art der Bild- und Tonübertragung als auch für eine bestimmte Art der Bild-Tonpräsentation, mit allen ihren inszenatorischen, ökonomischen und rhetorischen Implikationen, mit all ihren spezifischen Weisen, Weltsichten und Weltbilder zu entwerfen. Jedes Medium verfügt also über aktuelle und nichtaktuelle Gegebenheiten, wobei bestimmte Teile dieser nichtaktuellen Gegebenheiten eine Präsentation erfahren können, bestimmte Teile wie die technische Ermöglichungsgrundlage des Vermittelten aber unpräsentiert bleiben. 

9) Es inszeniert das Vermittelte.

Das Vermittelte wird in eine Szene, ein Blickfeld gesetzt, es wird in einen bestimmten Brennpunkt gerückt, in welchem es erfaßt werden kann. Dieser Brennpunkt hängt von der Einrichtung des Mediums ab. Alles Vermittelte erscheint uns also in einem szenischen Horizont, in einer durch die >Szenerie< bestimmten Formierung. Der Inszenierungsrahmen hängt von einem Mindestmaß an Überschaubarkeit ab. Ein Szenarium kann nicht beliebig erweitert werden. Dabei ist nicht das Denkmögliche Maßgabe seiner Einrichtung, sondern seine Faßbarkeit. Unerfaßbare Szenarien sind für eine Vermittlung sinnlos.

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Bedeutungsverleihung ist eine verstehende, einordnende und ordnende Leistung. Das Medium schafft Bedeutung, indem es einen Sachverhalt in einen bestimmten Verweisungszusammenhang setzt. Bedeutung wird durch Zuweisung, Ordnung und Einordnung hergestellt. Dies gilt für alle bedeutungsverleihenden Akte, die ohne weiteres als mediale Ausdrücke gedeutet werden können. Das Medium schafft eine bestimmte Hierarchie sowie Form- und Relationsstruktur, in der die vermittelte Sache erst in Erscheinung tritt. Bedeutung erscheint insofern als Zeichen funktionaler Verknüpfung bzw. als Beziehungsknotenpunkt, von dem aus sich eine Ordnung der Dinge zeigt, bzw. sich eine Ordnung herstellen läßt. Jede Bedeutung verweist also bereits auf ihre mediale Anlage.

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