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Jeder symbolische, mittelbare Austausch, der die räumliche und zeitliche Präsenz transzendiert und dadurch Öffentlichkeit erst ermöglicht, ist stets an einen medialen Träger gebunden. Es gibt keine Vermittlung ohne tragenden Grund; es trägt die Stimme einen geistigen Ausdruck, die Sprache tut es, es trägt die Projektionsfläche das Bild, die Versuchsperson einen Bestand an sozialer Information etc. Es kommt nun darauf an, aus den unterschiedlichen Gebrauchstypen ein Bedingungsgefüge herauszuarbeiten, das einen für unsere Zwecke sinnvollen Begriffsgebrauch darstellt. Welche Bedingungen also muß der Begriff des Mediums in einem philosophisch-ethischen Diskurs erfüllen?


1) Das Medium kann nicht sinnvoll in seine ideellen und materiellen Bestände geschieden werden.

Es muß von dieser traditionellen Scheidung Abstand genommen werden, weil sie mehr zur Verwirrung beiträgt, als Einsichten vermittelt. Die materielle Seite impliziert schon Ideelles, die ideelle schon Materielles. Es gibt kein Medium ohne Materialität, ebensowenig eines ohne formende, d.h. ideelle Komponenten. So scheiden Engel als körperlose Wesenheiten als sinnvolle Verkörperungen eines Medienbegriffs aus. Der Alltagsgebrauch des Begriffs Medium orientiert sich oft all zu rasch an einem technischen Gebilde im Sinne einer medialen Apparatur, vergißt dabei aber, daß der griechische Begriff der techne in erster Linie eine Fertigkeit, nicht aber ein Artefakt meint. Es handelt sich also eher um eine individuelle energeia bzw. ein individuelles Vermögen, weniger um die Materialisierung und Objektivierung dieses Vermögens in einem technischen Artefakt (vgl. Wiegerling 1989, S.105 -137). In diesem Sinne ist auch Technik in erster Linie ein ideelles Vermögen, das allerdings auf einen Ausdrucksstoff, und sei dieser Stoff der eigene Leib, angewiesen ist. Die Antiquiertheit der traditionellen Scheidung wird heute gerade in der Computerwissenschaft deutlich, die eine strenge Scheidung zwischen Software und Hardware kaum noch zuläßt.

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Ein Medium löst die reine Unmittelbarkeit körperlicher Präsenz auf und eröffnet mittelbare Einsichten, die wir auf grund unserer eigenen räumlichen und zeitlichen Begrenztheit nicht erlangen können. Zu den mittelbaren Einsichten gehören alle Einsichten in den Mikro- und Makrokosmos, aber auch Einsichten in fremde Kulturen, denen wir nicht unmittelbar begegnen können und natürlich Einsichten in vergangene Epochen. Ohne diese mediale Transzendierung gäbe es praktisch keine historische Überlieferung, geschweige denn historische oder kulturwissenschaftliche Disziplinen. Und es gäbe freilich auch keine Möglichkeit, die Welt mythisch oder religiös zu erschließen.

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Das Medium löst einerseits Örtlichkeit und Zeitlichkeit eines unmittelbar Gegebenen auf, stellt andererseits aber gerade Ort und Zeit für eine Öffentlichkeit her, die sich an einem anderen, medial orientierten Ort versammelt. Das Medium kann also andernorts und zu anderer Zeit einen Ort des Sammelns und Versammelns herstellen. So erweist sich das Theater von seinen Anfängen an als ein medialer Ausdrucks- und Versammlungsort. Der mediale Raum ist auf die Bühne bzw. den Ort des Ausdrucks orientiert. Auch der Bildschirm vermag Räume medial zu zentrieren. Medien schaffen also Versammlungs- und Sammlungsräume und geben ihnen Orientierung (vgl. Wiegerling 1995).

4) Es vermittelt Abwesendes, allerdings nicht als es selbst.

Die Gegenwart eines Abwesenden kann nur durch die Gegenwart eines Dritten gesichert werden. Wir benötigen ein mediales Instrumentarium mit einer präsenten Projektionsfläche, einer aktuellen akustischen und visuellen Realisation, um das Abwesende vermitteln zu können. Wir können den Sachverhalt auch in logischen Termini ausdrücken. In medialen Verhältnissen wird der Identitätssatz an eine Bedingung geknüpft: A ist A wenn B. Das heißt, das Abwesende wird nicht als es selbst vermittelt, sondern vielmehr in ein bestimmtes Bedingungsgefüge integriert und dadurch transformiert. Was diese Transformation besagt, wird noch zu diskutieren sein.

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Obgleich es eine wesentliche Aufgabe des Mediums ist, räumliche und zeitliche Distanz zu überbrücken, schafft es zugleich eine neue Art der Distanz zur präsentierten Sache. Diese ist uns nicht als sie selbst gegeben, sondern in gewisser Weise als eine Perspektive derselben. Das Perspektivische erfährt im Medium selbst seine Objektivierung. Auch das perfekteste Medium gibt uns nicht die Sache selbst; wobei allerdings das mediale Phänomen selbst, wie bei der Betrachtung von Images, zur Sache werden kann. Das Medium ist also nicht nur eine Vermittlungs- und Präsentierungsinstanz, sondern auch eine Instanz der Distanzierung. So hält uns tatsächlich der materielle Bestand eines Mediums von der Sache fern, es schiebt sich ein Blatt, eine Projektions- oder Resonanzfläche mitsamt seiner zugehörigen Maschinerie zwischen die Sache und das von ihr zeichenhaft Vermittelte. Aber das Präsentierte ist nur in einer bestimmten medialen Ordnung gegeben. Jedes mediale Trägersystem gibt etwas nur in einer bestimmten Anordnungs- oder Reihungsstruktur. Das Medium präsentiert und distanziert eine Sache also gleichzeitig.

6) Es stellt eine besondere Weise der Nähe her.

Diese mediale Nähe hat nichts mit der natürlichen Weltaneignung im Mesobereich, also dem unmittelbar zugänglichen Bereich alltäglichen Handelns, zu tun. Vielmehr handelt es sich um eine Nähe, die bedingt ist durch die Aufhebung von Raum- und Zeitdistanzen und die weitgehende Aufhebung eigener kinästhetischer und lokomotorischer Weltaneignungstätigkeit. Die mediale Welt kommt zu uns, nicht wir zu ihr. Mit dem Begriff der medialen Nähe wird zunehmend auch die alle Distanz auslöschende Übertragungsgeschwindigkeit identifiziert. Der französische Urbanist und Geschwindigkeitstheoretiker Paul Virilio bezeichnet das letzte, alles in NahverhäItnisse setzende Fahrzeug als das audiovisuelle. Es wäre »das statische Fahrzeug als Ersatz für unsere physische Ortsveränderungen und als Verlängerung unserer häuslichen Trägheit .« (Virilio 1990). Mediale Nähe korrespondiert also mit der Aufhebung von Distanz und der Zunahme von Übermittlungsgeschwindigkeit. Das Prinzip Nähe ist in gewisser Weise die Leitidee des nachmechanischen medialen Zeitalters. Dabei stellt sich aber ein anderes Problem ein: Wenn es im Medium, insbesondere in den modernen elektronischen Medien, eine Tendenz gibt die Welterfahrung auf Nah- und Gleichzeitigkeitsverhältnisse zu reduzieren, verschwindet zunehmend der weltorientierende Sinn des Horizontes. Wo alles gleichnah ist, muß um der Orientierung willen der Horizont und damit die Möglichkeit des Fremden künstlich erzeugt werden, was natürlich enorme Manipulationsmöglichkeiten eröffnet.

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