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Die Gegenwart eines Abwesenden kann nur durch die Gegenwart eines Dritten gesichert werden. Wir benötigen ein mediales Instrumentarium mit einer präsenten Projektionsfläche, einer aktuellen akustischen und visuellen Realisation, um das Abwesende vermitteln zu können. Wir können den Sachverhalt auch in logischen Termini
ausdrücken. In medialen Verhältnissen wird der Identitätssatz an eine Bedingung geknüpft: A ist A wenn B. Das heißt, das Abwesende wird nicht als es selbst vermittelt, sondern vielmehr in ein bestimmtes Bedingungsgefüge integriert und dadurch transformiert. Was diese Transformation besagt, wird noch zu diskutieren sein.

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Diese mediale Nähe hat nichts mit der natürlichen Weltaneignung im Mesobereich, also dem unmittelbar zugänglichen Bereich alltäglichen Handelns, zu tun. Vielmehr handelt es sich um eine Nähe, die bedingt ist durch die Aufhebung von Raum- und Zeitdistanzen und die weitgehende Aufhebung eigener kinästhetischer und lokomotorischer Weltaneignungstätigkeit. Die mediale Welt kommt zu uns, nicht wir zu ihr. Mit dem Begriff der medialen Nähe wird zunehmend auch die alle Distanz auslöschende Übertragungsgeschwindigkeit identifiziert. Der französische Urbanist und Geschwindigkeitstheoretiker Paul Virilio bezeichnet das letzte, alles in NahverhäItnisse setzende Fahrzeug als das audiovisuelle. Es wäre »das statische Fahrzeug als Ersatz für unsere physische Ortsveränderungen und als Verlängerung unserer häuslichen Trägheit.« (Virilio
1990, S. 267). Mediale Nähe korrespondiert also mit der Aufhebung von Distanz und der Zunahme von Übermittlungsgeschwindigkeit. Das Prinzip Nähe ist in gewisser Weise die Leitidee des nachmechanischen medialen Zeitalters. Dabei stellt sich aber ein anderes Problem ein: Wenn es im Medium, insbesondere in den modernen elektronischen Medien, eine Tendenz gibt die Welterfahrung auf Nah- und Gleichzeitigkeitsverhältnisse zu reduzieren, verschwindet zunehmend der weltorientierende Sinn des Horizontes. Wo alles gleichnah ist, muß um der Orientierung willen der Horizont und damit die Möglichkeit des Fremden künstlich erzeugt werden, was natürlich enorme Manipulationsmöglichkeiten eröffnet.

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Die Position wird im ersten Falle durch den konkreten Ort des Mediums zum Ausdruck gebracht, der die Präsentation eines Abwesenden ermöglicht: Das Abwesende wird uns über eine konkrete Szene, ein konkretes Blatt, einen konkreten Bildschirm usw. vermittelt; und letztere nehmen konkrete Raumstellen ein. Aber auch in einem anderen Sinne artikuliert das Medium seine Position zum Abwesenden: ein Medium ist immer auch ein ideelles Strukturganzes, das bewertend und selektierend an eine Sache herantritt. Das
Medium nimmt also selbst die Rolle eines Urteilenden bzw. Bewertenden gegenüber dem Abwesenden ein, was Günther Anders dazu veranlaßt, eine Nachricht, insbesondere eine in Bildform übermittelte Nachricht im Fernsehen, bereits als ein vom Gegenstand abgelöstes Prädikat und somit als ein Vorurteil aufzufassen (vgl. Anders 1956, §17, § 18 und § 19). Im Falle des Mediennutzers wird die Position zum einen durch dessen leibliche Position und zum anderen durch die jeweilige soziale und historische Position zum Medium in seiner Artikulation via Bildschirm, Lautsprecher, Textseite usw. bestimmt. Das heißt, mein Leib muß in irgendeiner Weise an das Medium >angeschlossen< sein. Ich erfahre das Abwesende nur durch die relative Nähe eines Bildschirms etc. An das Medium angeschlossen muß aber nicht nur mein Leib, sondern auch mein Geist sein. Ich muß eine gewisse Fähigkeit zum Umgang mit einem Medium haben, muß lesen und den Code eines Bildes verstehen können. Jean Baudrillard geht noch einen Schritt weiter, wenn er behauptet, daß der Mensch selbst Teil der medialen Welt und somit >virtuell und praktisch< schon eine Maschine geworden sei. Der Mensch ist also selbst schon Teil der medialen Maschinerie, die er wie einen Herzschrittmacher benötigt und von der her er zusehends die Bedeutung seiner Existenz ableitet (vgl. Baudrillard 1986). Auch wenn Baudrillards Auffassung sehr provokativ und pointiert erscheint, so steht tatsächlich außer Frage, daß der Mensch in bestimmter Hinsicht nicht jenseits eines Mediums steht, sondern sich selbst immer schon in medialen Bezügen artikuliert.

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