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Pietraß, Manuela, Rüdiger Funiok, Hrsg.: Mensch und Medien: philosophische und sozialwissenschaftliche Perspektiven. 1. Aufl. Medienbildung und Gesellschaft, Band 14. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2010. S. 7ff

Mit dieser Differenzierung zwischen Medialität i. S. des „geistig“ vermittelten Weltzugangs des Menschen und einer Medialität im Sinne technischer Zeichenvermittlung, wird dem qualitativen Unterschied zwischen beiden Formen von Medialität Rechnung getragen. Verzichtet man auf diese Differenzierung, geht die durch die technische Entwicklung aufgeworfene Frage nach dem Menschsein in jener nach dem generell bestehenden geistig vermittelten Weltzugang des Menschen auf. Die technisch konstituierte Medialität ist jedoch nicht einfach unter der prinzipiellen Medialität des menschlichen Weltverhältnisses subsumierbar. Denn die Symbolizität des Menschen bringt heute eine doppelte Dynamik hervor: zum Einen das Sich-selbst-Hervorbringen und damit Selbst-im-Symbol-Sein, verbunden mit der Wahrnehmung desselben als Außenwelt, die verschieden und doch als eigenes erkennbar ist (vgl. Wunden 2003, S. 52), und zum Anderen die Medienvermittlung, welche durch die spezifische, technische Vermittlungsform besondere Gestaltungsmöglichkeiten erhält.


Grundzüge von Medienerfahrung

Medienvermittelte Erfahrung wird häufig der direkten Erfahrung gegenübergestellt und als defizitär gekennzeichnet. Eine solch konkurrierende Gegenüberstellung ist jedoch nicht sinnvoll und wird der Besonderheit medieninitiierter Erfahrungsprozesse nicht gerecht. Die Besonderheit technischer Medialität wird unter einem semiotischen Medienbegriff deutlich. Als spezifische Erfahrungsform ist Medienerfahrung danach eine Auseinandersetzung mit etwas Immateriellem, in welchem die Erfahrungen und Deutungen der Menschen zu Zeichen geronnen sind. Zeichen stellen eine Relation her zwischen einem, das Bedeutung trägt, und einem, das bedeutet wird, sowie jener Bedeutung, die sich aus der Relation zwischen Bedeutung und Bedeutetem ergibt. Dieses Zeichenverständnis nach Charles S.
Peirce, von dem der semiotische Medienbegriff ableitbar ist, umfasst also den Zei-
chenkörper – bzw. das technische Medium –, die von ihm transportierte Bedeutung
und die von einem Interpretanten resp. Rezipienten geleistete Interpretation der
Zeichenbedeutung. Dabei ist mit einem Missverständnis aufzuräumen, das dem
semiotischen Medienbegriff vorgeworfen wird: Medien i. S. Peirce’ sind nicht abbil-
dende Repräsentanten einer objektiv feststellbaren, materiellen Realität, mit einem
direkten Bezug zur Wirklichkeit, so dass man Medienwirklichkeit als eine andere,
sinnlich reduzierte Form von Erfahrung verstehen kann. Vielmehr legen Medien
Welt aus und schaffen damit zusätzliche Wirklichkeiten. Insofern sind sie selbst
Bestandteile eines unendlichen Kommunikations- resp. Weltauslegungsprozesses,
den Peirce als Semiose bezeichnet, und der mit und ohne Medien erfolgt.
Damit eignet sich der semiotische Medienbegriff sowohl für die passiv-
rezeptiv konzipierten Massenmedien sowie für interaktive Angebote, wie sie vor
allem die digitalen Medien bereithalten. Zu den passiv-rezeptiv konzipierten gehört
im Internet das Web 1.0 mit Anwendungen wie Online-Nachrichtendiensten, In-
formationsportalen und Homepages, und zu den interaktiven das Web 2.0 mit sei-

nen sozialen Plattformen, Blogs und Wikis. In beiden Formen digitaler Kommuni-
kation handelt es sich um semiotische Prozesse, die in den technischen Übermitt-
lungswegen der Medien manifest werden und, von ihrer Dynamik her gesehen, aus
vielzähligen einzelnen Kommunikationsschritten bestehen, welche sich zwischen
den Rezipienten und Produzenten – als wechselseitige Rollenträger – im Internet
vollziehen.
Am Zeichen werden zwei Aspekte manifest, welche die Besonderheit von Me-
dienerfahrung konstituieren, die Materialität des Zeichenkörpers und seine Bedeu-
tung:
ƒ
Die Materialität des Zeichenkörpers besteht in seinen sinnlichen Anmutungs-
qualitäten; ein Zeichen spricht ganz bestimmte Sinneskanäle an und hält je-
weils spezifische Ausdrucksmöglichkeiten bereit, die durch seine jeweilige
technische Verfasstheit bedingt sind.
ƒ
Die Zeichenbedeutung, also die Semantik, bezieht ihre Relevanz aus dem
Prozess der Semiose. Kommunikation stellt immer einen Unterschied her, an-
dernfalls wäre sie nicht notwendig, und dabei werden immer neue Auslegun-
gen von Welt geschaffen.
Materialität und Semantik sind nur analytisch voneinander zu trennen, da sie als
Form und Inhalt in einem sich gegenseitig bedingenden Verhältnis stehen. In ihrem
Doppelcharakter liegt begründet, dass sich mediale Erfahrungen nicht nur in einer
typischen Weise von nicht-medialen Erfahrungen unterscheiden, sondern auch, dass
sie als zusätzliche Erfahrungsformen zu verstehen sind – und nicht, wie dies noch in der
Abbildtheorie der Medien aufgefasst wurde, als defizitäre Formen unvermittelter
Erfahrung. Medien bieten einen Deutungszuwachs, der im Schatten dessen entsteht,
was sie präsentieren.
Dem Wunsch nach einer Wiederherstellung sinnlicher Ganzheit liegt ein ro-
mantisches Verständnis von Kommunikation mit Medien zugrunde, das nur auf die
direkte Kommunikation von Kleingruppen beziehbar ist und nicht auf komplexe
Gesellschaftsformen, die auf Medienvermittlung angewiesen sind. Denn mit den
Medien wird etwas Neues geschaffen, was mehr ist als die möglichst störungsfreie
technische Vermittlung von Botschaften, die von Partnern unter Einsatz natürlicher
Medien ausgetauscht werden: Medien sind nicht nur ein vermittelndes Instrument,
sondern sie konstituieren, wie vorangehend anhand des semiotischen Medienbe-
griffs ausgeführt wurde, Bedeutung im Prozess der Semiose. Damit erfährt der
Mensch nicht ein durch Vermittlungsstörungen reduziertes Abbild von Wirklich-
keit. Das Medium schafft vielmehr eine neue Wirklichkeit, die zwar auf ein ihr vor-
ausgehendes Ereignis referiert, aber dieses nicht punktgleich wiedergibt, sondern im
Schaffen von etwas Neuem ihre kommunikative Funktion erfüllt. Insofern sind
Medienerfahrungen immer als eine zusätzliche Erfahrungsform zu verstehen, sie
erweitern die menschlichen Kommunikationsformen jeweils um sich selbst und 

erlauben damit eine Ausdifferenzierung menschlicher Welterfahrung. Dies gilt nicht
nur hinsichtlich unvermittelt-direkten Umgangs mit den Menschen und Dingen,
sondern auch für die Relationen der einzelnen Medienerfahrungen zueinander.