...
Die rasante Entwicklung der Naturwissenschaften und der Technik eröffnet
uns viele neue Handlungsmöglichkeiten. Sie sind teilweise mit erheblichen
ethischen Schwierigkeiten und Konflikten verknüpft, die durch die beste-
henden bestehenden Rechtsnormen und traditionellen moralischen Normen nicht gere-
gelt geregelt werden. Viele neue ethische Fragestellungen beziehen sich auf Hand-
lungsbereicheHandlungsbereiche, die uns erst seit wenigen Jahren oder Jahrzehnten offen
stehen oder die erst jetzt als ethisch relevant betrachtet werden: Sollen die
neuen Biotechnologien wie das Klonen oder die Gentechnik angewendet
werden, obgleich gewisse Risiken bestehen und die Würde von Menschen
und Tieren auf dem Spiel steht? Darf ein Sterbeprozess mit den immer besse-
ren besseren medizintechnischen Mitteln immer länger verzögert werden, auch wenn
das Weiterleben dem Patienten zu einer unerträglichen Qual geworden ist?
Können wir weiterhin Autoabgase und Kohlendioxide aus der Verbrennung
fossiler Brennstoffe in die Atmosphäre entlassen, die zu einem Klimawandel
mit verheerenden Folgen beitragen? Sind die sich infolge der Technisierung
drastisch verschlechternden Lebensbedingungen der Tiere in der industriel-
len industriellen Massentierhaltung noch zu verantworten? Wie sollen wir damit umge-
henumgehen, dass die Medien mit ihren Strukturen und Inhalten dank der ständigen
Erweiterungen der technischen Möglichkeiten immer mehr Lebensbereiche
prägen und aus unserem Leben zunehmend ein Leben aus zweiter Hand ma-
chenmachen? Ist es richtig, im Rahmen einer globalisierten Wirtschaft die Handels-
ware Handelsware Tausende von Kilometern weit von einem Land ins andere zu transpor-
tierentransportieren, nur um höhere Gewinne zu erzielen?
Alle diese gegenwartsdringlichen Fragen zeigen akute Probleme oder Kon-
flikte Konflikte im Bereich menschlichen Handelns auf. Sie lassen sich letztlich alle
auf die Grundfrage der philosophischen Ethik schlechthin zurückführen:
Wie soll ich bzw. wie sollen wir handeln? Gerade angesichts der hohen Ri-
siken Risiken der in Frage stehenden Handlungsweisen müssen oft rasch konkrete
Lösungen und Regelungen gefunden werden. Es herrscht also ein gesteiger-
ter gesteigerter praktischer Orientierungsbedarf. In der Politik und in der Öffentlichkeit
setzen viele ihre Hoffnung auf die philosophische Ethik und insbesondere
die noch junge Angewandte Ethik, die in Kommissionen, Räten und Gre-
mien Gremien institutionalisiert wird. Nur wenige der zur Diskussion stehenden Pro-
bleme Probleme sind dabei ausschließlich eine Sache der privaten Lebensführung, des
persönlichen guten Lebens. Es geht also nicht oder nicht allein darum, dass
die Handlungssubjekte selbst mittels bestimmter Handlungs- oder Lebens-weisen Lebensweisen glücklich werden. Gefahndet wird vielmehr nach Handlungsorien-
tierungen Handlungsorientierungen für eine ganze Gemeinschaft, für das kollektive Handeln. Weil
nicht ausschließlich das Wohl Einzelner, sondern das Wohl der Gemeinschaft
und oft sogar die natürliche Lebensgrundlage aller Lebewesen auf dem Spiel
steht, sprengen die neuartigen Probleme den privaten Entscheidungsbereich
von Individuen. Es handelt sich größtenteils um öffentliche Angelegenhei-
tenAngelegenheiten. Daher entfachen sie breite und lebhafte öffentliche Debatten, die lei-
der leider allzu oft sehr emotional geführt werden. Das vorliegende Buch möchte
einen Beitrag zur Versachlichung dieser Diskussionen leisten, indem es die
Standpunkte und Argumentationen bezüglich der verschiedenen Streitfra-
gen Streitfragen nüchtern analysiert. Die Argumente werden auf ihre Voraussetzungen
oder Hintergrundannahmen hin geprüft und auf bestimmte Argumentations-
typen Argumentationstypen oder Begründungsformen zurückgeführt. Es soll gezeigt werden, wie
sich die Stichhaltigkeit von Argumenten und Positionen kritisch hinterfragen
lässt und wie eine eigene klare und begründete Stellungnahme zu den aktu-
ellen aktuellen Problemen entwickelt werden kann. Ziel ist es letztlich, die Leser für die
drängenden ethischen Probleme unserer Gesellschaft zu sensibilisieren und
ihr ethisches Urteilsvermögen zu schärfen.
1.1
Ethik und Angewandte Ethik
Die Ethik versucht ganz generell die Frage zu beantworten, wie die Men-
schen handeln sollen. Anders als die theologische Ethik setzt die philoso-
phische Ethik bei der Beantwortung dieser Frage keinen Glauben an eine
bestimmte Religion voraus und verzichtet grundsätzlich auf einen Rückgriff
auf heilige Texte oder den göttlichen Willen. Philosophische Ethik lässt
sich daher folgendermaßen definieren: Sie ist eine Disziplin der praktischen
Philosophie, die allgemeine Prinzipen oder Beurteilungskriterien zur Be-
antwortung der Frage nach dem richtigen Handeln zu begründen sucht. Im
Unterschied zur theoretischen Philosophie, die sich mit dem „Sein“ und den
faktischen Gegebenheiten beschäftigt, widmet sich die praktische Philoso-
phie dem „Sollen“ im Rahmen der menschlichen Praxis. Sie zielt nicht wie
jene auf theoretisches Wissen und auf das Ideal der Wahrheit ab, sondern
auf praktische Orientierung und die Idee des Guten oder normativ Richtigen.
Ihre Grundfrage lautet nicht „Was kann ich wissen?“ oder „Was kann ich
erkennen?“, sondern „Was soll ich tun?“ bzw. „Warum ist es gut, dies oder
jenes zu tun?“. Man kann sich die ethische Grundfrage entweder mit Blick
auf die persönliche Lebensführung und die Eigeninteressen der handelnden
Person stellen (prudentielle Perspektive) oder aber hinsichtlich dessen, was
...